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Vielfacher Schriftsinn

Vielfacher Schriftsinn - Zum 50. Todestag des Literaturwissenschaftlers Peter Szondi. Von Nikolaus Halmer

In seinen Analysen von literarischen und philosophischen Texten ging Peter Szondi davon aus, dass keine allgemein verbindliche Methode mehr existiere, wie Kunstwerke zu interpretieren seien. Er war überzeugt, dass sie nicht lückenlos erschlossen werden könnten und ihren Rätselcharakter beibehielten. Dies betrifft speziell die literarische Avantgarde, die seit Stéphane Mallarmé, mit "einem vielfachen Schriftsinn" behaftet sei. In seiner Schrift "Theorie des modernen Dramas" ortete Szondi den Auflösungsprozess einer kohärenten Handlung, die bei klassischen Autoren wie Friedrich Schiller noch die Norm war. Ein Beispiel dafür ist Anton Tschechow, dessen Dramen "im Zeichen des Verzichts" stehen. Die Menschen verzichten auf die Gegenwart und das Glück in der konkreten Begegnung. Ihre Monologe evozieren Erinnerungen längst vergangener Begebenheiten; die Suche nach der verlorenen Zeit überdeckt die trostlose, inhaltsleere Gegenwart. Mit diesen Thesen wurde Szondi zum Außenseiter der zeitgenössischen Literaturwissenschaft, was zu seinem Selbstmord beitrug.

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