Florian Teichtmeister

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Florian Teichtmeister über Arthur Schnitzler

"Was die Seele durcheinander rüttelt". Anlässlich des 90. Todestages des Chronisten der Wiener Gesellschaft um 1900 stellt der Schauspieler Florian Teichtmeister seine Lieblingspassagen aus dessen Werken vor

Heute möchte ich über eine Stelle aus der "Traumnovelle" sprechen. Die Traumnovelle, die ja die Grundlage für Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" war und dadurch eine weltweite Berühmtheit erlangt hat, ohne dass das die meisten Menschen vielleicht wissen. Vielleicht unterschätze ich die Menschen aber auch. In dieser Novelle gibt es eine weibliche Hauptfigur namens Albertine, die einen Traum erlebt und die Möglichkeit hat, ihrem Gatten von diesem Traum nichts zu erzählen.

In diesem Traum kompensiert sie, würde Freud sagen, vermutlich das, was sie als Ehefrau sich nicht ausleben traut. Sie erzählt dennoch von ihrem Traum und bringt dadurch die Beziehung zu ihrem Mann in Gefahr, weil ihr Ehemann Fridolin nach dieser Erzählung starke Rachegelüste entwickelt. Schnitzler schreibt:

"Je weiter sie in ihrer Erzählung fortgeschritten war, um so lächerlicher und nichtiger erschienen ihm seine eigenen Erlebnisse, soweit sie bisher gediehen waren, und er schwor sich zu, sie alle zu Ende zu erleben, sie ihr dann getreulich zu beichten und so Vergeltung zu üben an dieser Frau, die sich in ihrem Traum enthüllt hatte als die, die sie war, treulos, grausam und verräterisch, und die er in diesem Augenblick tiefer zu hassen glaubte, als er sie jemals geliebt hatte."

Und dennoch küsst er die Hand seiner Ehefrau anschließend, wie Schnitzler schreibt, "sanft mit seinen Lippen" und erkennt, dass er für sie eine "unveränderte, nur schmerzlicher gewordene Zärtlichkeit empfand". Ihre Ehrlichkeit drängt ihn aufgrund seines auf gesellschaftlichen Normvorstellungen basierenden Stolzes dazu, zu glauben, seine Frau nun ebenfalls betrügen zu müssen.

Schnitzlers Geflecht aus Figuren ist in seiner Brillanz nicht nur darauf zurückzuführen, dass er die Figuren so tiefgehend beschreibt und ausstattet mit so vielen Ebenen, sondern auch darauf, dass er das menschliche Zusammenwirken und das Wollen und die Kämpfe miteinander und das Ringen umeinander sehr mitreißend beschreibt.

Für mich ist eine tiefe Melancholie in den Figuren und in ihren Sehnsüchten zueinander. Das ist ein ganz großes Thema dabei. Die Melancholie endet aber nicht in der Romantik, sondern in einer kalten Einsamkeit und in einer großen Vereinsamung der Figuren, die dann umso sehnsüchtiger danach suchen, was sie glücklich macht, und dabei allzu oft nur alles kaputt machen.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Victor Young/1900 - 1956
Vorlage: Arthur Schnitzler/1862 - 1931
Gesamttitel: EYES WIDE SHUT / Original Filmmusik
Titel: When I fall in love/instr. / aus dem Film "One minute to zero" / "Korea"
Untertitel: MUSIC FROM THE MOTION PICTURE
Orchester: Victor Silvester Orchestra
Länge: 02:59 min
Label: Warner Sunset/Reprise 9362474502

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