Buch

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Radiogeschichten

Ex libris Nachlese. "Deutscher Herbst" von Stig Dagerman. Aus dem Schwedischen von Paul Berf.
Es liest Falk Rockstroh

"Deutscher Herbst". Der Titel erinnert zunächst an den Deutschen Herbst der Rote Armee Fraktion im Jahr 1977. Doch Stig Dagermans Reportagen berichten vom Jahr 1946 und zeigen eine am Boden liegende Nation. Es ist das eindrucksvolle Debüt des 23-jährigen Schweden, der sich 1954 das Leben nahm. Für die Zeitung Expressen reist Dagerman nach Deutschland. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, sprich fließend Deutsch und hat gute Kontakte. So ausgestattet fährt er in jenes Land, das kurz zuvor noch Angst und Schrecken, Tod und Vernichtung nach Europa brachte. Nun liegt Stig Dagermans Reportagenband in einer Neuübersetzung vor.

Ein zerstörtes Land wird besichtigt. Da sind die Trümmerlandschaften, die zerbombten Städte, das schiere Nichts. Hier stellt sich für Stig Dagerman nicht die Schuldfrage. Sein Augenmerk gilt zuvorderst den Menschen, die schlicht im Elend überleben müssen. Das Land der Mörder und Henker, die über ganz Europa hergefallen sind, ist ein Land der Gespenster geworden, die ihre Wäscheleine von einer zerborstenen Dachrinne zu einem Ofenrohr spannen und übelriechendes Gemüse zubereiten. Dagerman wandelt durch die kaputten Städte wie durch eine surreale Landschaft, die aber nicht surreal ist, sondern zutiefst real.

Er richtet seine Augen auf das Leiden, das Elend, die Unfähigkeit der deutschen, Trümmermenschen, der Monstrosität des Nationalsozialismus zu begegnen, und prangert den Zynismus der Sieger nach den Bombenanschlägen an. Hier reifen keine ausgewogenen Einsichten in die Mitschuld am Holocaust: Die Stunde Null der Demokratie, das ist ein frommer Wunsch, der einen ausländischen Beobachter schon verzweifeln lässt, so wie Hannah Arendt bei ihrem Besuch in Deutschland im Jahr 1949. Dass in diesen Ruinen keine lupenreinen Demokraten heranwachsen, ist nachvollziehbar.
Gestaltung: Peter Zimmermann

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Stig Dagerman: "Deutscher Herbst", Guggolz Verlag (Übersetzung: Paul Berf)

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