Frau hält sich Stirn

DPA/OLIVER KILLIG

Medizin und Gesundheit

Auch wenn der Anfang schwerfällt - Bewegung hilft gegen Schmerzen


Autsch! Mit dem scharfen Küchenmesser von der Zwiebel abgerutscht und den Finger erwischt, mit dem heißen Kaffee die Zunge verbrannt, mit dem nackten Fuß auf etwas Spitzes getreten, mit der Schulter im Dunkeln gegen den Kasten gelaufen. Ein stechender Schmerz im Knie oder hämmernde Migräne. In Sekundenbruchteilen wird unser Leben zur Qual.

Schmerzsinn: Schutzfunktion des Lebens

Akuter Schmerz ist unangenehm, aber nützlich. Von der Evolution als lebensnotwendige Sinneswahrnehmung entwickelt, die uns auf potenzielle oder tatsächliche Schädigungen aufmerksam macht. Ein komplexer Ablauf von Informationen, bei dem hochspezialisierte Nervenzellen, unterschiedliche Ionenkanäle und der somatosensorische Cortex im Gehirn involviert sind. Akuter Schmerz hilft uns schwere Verbrennungen, tiefe Wunden usw. zu vermeiden.

Schmerz als Krankheit

Was aber, wenn Schmerzen chronisch werden? In Österreich sind etwa 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen betroffen. Rund 350.000 leiden an einer schweren, chronifizierten Schmerzerkrankung. In diesem Fall hat der Schmerz seine lebenswichtige Warnfunktion verloren und sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickelt.

Multimodale Schmerztherapie

Chronische Schmerzen müssen multimodal und interdisziplinär behandelt werden. So werden in einer multimodalen Schmerztherapie idealerweise medikamentöse, nicht-medikamentöse, edukative und psychologisch-psychotherapeutische Verfahren miteinander kombiniert. Wie gesagt im günstigsten Fall. Denn es gibt zu wenige dieser Spezialzentren und auch nicht ausreichend ausgebildete Schmerzexpertinnen.

Physis und Psyche zusammen betrachten
Denn auch beim Schmerz spielen physische, psychische und soziale Komponenten eine Rolle. Chronische Schmerzen belasten nicht nur die Erkrankten, sondern auch deren Umfeld. Und sie gestalten die Arbeitssituation sehr schwierig. Häufig gehen sie auch mit Komorbiditäten wie Übergewicht, Schlafproblemen, Depressionen einher. Diese Beschwerden bedingen dann einander wechselseitig.

Bewegung als Teil der Schmerztherapie

Fakt ist: Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, schränken ihre körperlichen Aktivitäten meist ein, weichen dem Schmerz aus. Doch dieses Verhalten setzt einen Teufelskreis in Gang. Denn das Gegenteil wäre hilfreich: Bewegung ist ein probates Mittel gegen Schmerzen. Die erste Herausforderung ist es, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden, die schmerzgeplagte Menschen zu sogenannten "Couch-Potatoes" und damit die Schmerzen noch schlimmer werden lässt.

Neue Ergebnisse der Hirnforschung

Durch Bewegung werden Substanzen im Körper freigesetzt, die nicht nur gegen Schmerzen, sondern auch gegen Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen etc. wirken. "Die Skelettmuskulatur ist eine pharmazeutische Einrichtung, die oft wichtiger und auf jeden Fall finanziell günstiger ist als Medikamente. Denn wir können durch den Gebrauch der Muskulatur dem Körper hochwirksame Substanzen zur Verfügung stellen!", sagt Univ.-Prof. Dr. Jürgen Sandkühler, Leiter der Abteilung für Neurophysiologie im Zentrum für Hirnforschung an der MedUni Wien.

"Bewegung ist für Schmerzpatient*innen eine therapeutische Maßnahme. Regelmäßig körperlich aktiv zu sein, kann effektiv helfen, Schmerzen zu reduzieren und der Entwicklung chronischer Schmerzen vorzubeugen", erklärt die Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) OA. Dr.in Waltraud Stromer.

Initiative "Beweg Dich©/Move4you©

Der diesjährige Schwerpunkt der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) ist es, "den Schmerzen Beine zu machen". Im Rahmen der Initiative "Beweg Dich©/Move4you©" sollen Schmerzpatient*innen zu mehr Bewegung motiviert werden. Am 26. Jänner starten die 21. "Österreichischen Schmerzwochen", heuer unter dem Motto: "Beweg Dich - Fahrrad statt Auto; Treppe statt Lift".
Denn das ist die gute Nachricht: Chronische Schmerzen können durch moderate Bewegung, wie Walken, reduziert werden. Und Bewegung als Teil eines insgesamt gesunden Lebensstils trägt auch präventiv dazu bei, chronische Schmerzen zu vermeiden. Also: Runter vom Sofa und idealerweise raus an die frische Luft. Auch und gerade dann, wenn das Knie und/oder die Hüfte oder andere Körperteile schmerzen.

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Mag.a Dr.in Maria Harmer
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl, MA

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Leiden Sie selbst unter chronischen Schmerzen oder haben einen Angehörigen, der darunter leidet?

Haben Sie einen Arzt/eine Ärztin, die auf Schmerzbehandlung spezialisiert ist?

Wie geht es Ihnen?

Machen Sie ausreichend Bewegung? Trotz der Schmerzen? Welche Bewegungsformen tun Ihnen gut?

Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein?

Welche weiteren Therapiemaßnahmen haben Ihnen geholfen?

Service

Studiogast im Funkhaus Wien:

Univ.Prof. Dr. Jürgen Sandkühler
Leiter Abteilung für Neurophysiologie im Zentrum für Hirnforschung
Meduni Wien
Tel.: 01 / 40160-34101
E-Mail
Homepage

Am Telefon:

OÄ Dr.in Waltraud Stromer
Fachärztin für Anästhesiologie und allgemeine Intensivmedizin
Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG)
Stellvertretende Vorsitzende der Sektion Schmerz der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin
Landesklinikum Horn
Spitalgasse 10
3580 Horn
Tel.: 0664/506 85 09
E-Mail
Homepage

Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar
Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie, allgemeine Intensivmedizin, Notfallmedizin, interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee
Generalsekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG)
Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien
Tel.: +43 46353834303
E-Mail
Homepage

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG): Patientendialog, Informationsbroschüren, Podcasts & Videos zum Thema Schmerzen
Österreichischer Schmerzverband
Schmerzambulanz MedUni Wien
Hilfswerk Österreich: Ein Ratgeber für den Umgang mit Schmerzerkrankungen
Allianz chronischer Schmerz Österreich: Schmerzeinrichtungen
Schmerznetz Österreich
Gesundheitsinformation.de: Warum Bewegung bei Rückenschmerzen wichtig ist
Schmerzmanagement in der häuslichen Pflege

Buch-Tipps:

Hans-Günter Nobis, Roman Rolke und Toni Graf-Baumann (Hrsg.), "Schmerz - eine Herausforderung. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige", Springer 2020

Josef Giger-Bütler, "Stärker als der Schmerz: Mit chronischen Schmerzen selbstbestimmt leben", Patmos 2021

Margaret A. Caudill, "Selbsthilfe bei chronischen Schmerzen: Schmerzbewältigung Schritt für Schritt", Junfermann 2018

Thomas Tölle, Christine Schiessl, "Das Handbuch gegen den Schmerz: Rücken, Kopf, Gelenke, seltene Erkrankungen: Was wirklich hilft", ZS Verlag 2019

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