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Radiogeschichten Spezial

Der Ö1 Essay von Günther Anders

Der Ö1-Essay - Günther Anders: "Der Emigrant", C.H. Beck Verlag. Es liest Robert Reinagl.

Jede Emigration ist ein fundamentaler Bruch im Leben. Sie entwurzelt den Menschen, macht ihn sprachlos, einsam und unsichtbar. In seinem Essay "Der Emigrant" aus dem Jahr 1962 berichtet Günther Anders von der Scham und der Schande, die seine eigene Existenz als Geflüchteter mit sich gebracht hat.

"Kennzeichnend für uns ist nicht, dass unser Leben durch ein unentrinnbares Intermezzo eine Unterbrechung erfahren hat", schreibt er, "sondern dass die Zerfällung unseres Lebens in mehrere Leben endgültig geworden ist; und das heißt, dass das zweite Leben im Winkel vom ersten absteht, und das dritte wieder vom zweiten, dass jedesmal eine Wegbiegung stattgefunden hat, eine Knickung, die den Rückblick - beinahe hätte ich geschrieben: physisch - unmöglich macht."

Günther Anders, geboren 1902 in Breslau, verließ als Jude und damit als Verfolgter mit seiner Frau Hannah Arendt 1933 Deutschland. Zuerst lebten sie in Frankreich, danach in den USA, wo sich das Ehepaar trennte. 1950 kehrte er nach Europa zurück, bis zu seinem Tod im Jahr 1992 lebte er in Wien.

Die Emigration als Verweigerung der Lebenseinheit, die den Emigranten in die Unsichtbarkeit stürzt und seine Existenz zerrüttet, die Frage, ob man sich in einem neuen Leben überhaupt einrichten kann, ja einrichten will, der Verlust der Sprache, aber auch Gefühle der Scham und Schande - das sind die Themen seines Essays. Der wiederum fügt sich ein in Anders' lebenslangen philosophischen Untersuchungsgegenstand: die Zerstörung der Humanität. Zuerst durch die Vernichtung von Individuen, später, nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, durch die Auslöschung der Menschheit.

Sendereihe

Gestaltung

  • Peter Zimmermann

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