ASSOCIATED PRESS
Gedanken für den Tag
Schüsse in der Factory
"Fünfzehn Minuten Ewigkeit - Zum 35. Todestag von Andy Warhol" von Hartwig Bischof, Künstler und Kunsttheoretiker
25. Februar 2022, 06:56
Am 3. Juni 1968 fuhr Warhol mit zwei Bekannten aus der Factory im Lift zu jener Etage, in der diese "Kunstfabrik" untergebracht war. Die Factory war gleichzeitig ein Ort, an dem gearbeitet und gefeiert wurde, an dem wie in einer der Werkstätten der alten Meister neue Ideen in die Welt gesetzt wurden. An diesem Tag prallten zwei sehr "originelle" Typen aufeinander. Andy Warhol, als "Kopf" der Factory, der, größter Nutznießer aus dieser Ansammlung an kreativem Potential und Valerie Solanas. Diese war Gründerin einer Gruppe - sie war übrigens ihr einziges Mitglied -, die sich SCUM, zu Deutsch "Abschaum" nannte;
SCUM steht gleichzeitig aber auch als Abkürzung für "Society for cutting up men", Gesellschaft zum Schlachten von Männern". Als die Gruppe die Factory erreicht hatte, streckte Valerie Warhol mit drei Pistolenschüssen nieder; im Krankenhaus angekommen, galt Warhol bereits als klinisch tot, wurde aber wiederbelebt, zusammengeflickt und nach ein paar Wochen nach Hause geschickt.
In seiner "Philosophie" verklärt er diese Erfahrung, wenn er schreibt: "Du hast deine Narben reichlich ausgeschlachtet. Warum auch nicht? Sie sind das Beste an dir, weil sie etwas beweisen. ... Was? Dass man auf dich geschossen hat. Du hattest den größten Orgasmus deines Lebens." Wenn es dann allerdings wieder uns Ganze geht, verflacht diese literarische Überhöhung zu einem scharfen Realismus. Im Kapitel über den Tod heißt es: "Ich kann nichts zum Thema sagen, weil ich nicht darauf vorbereitet bin." Dies hinderte Warhol nicht daran, seinen Körper zum Sujet zu machen. Er inszenierte sich als modernen Schmerzensmann, indem er seine Narben zur Schau stellte. Nach allen Gesetzen der zeitgenössischen Massenmedien bescherte diese öffentlich ausgeschlachtete nahe Begegnung mit dem Tod Warhol einen heftigen Popularitätsschub.
Trotzdem Warhol kam sich wohl verraten vor: Der Tod kam aus seiner Fabrik, sein Produktionssystem trachtete ihm nach dem Leben. Für einen kurzen Moment war die Tarnung aufgeflogen.
Service
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: David Bowie
Album: HUNKY DORY
Titel: Andy Warhol
Solist/Solistin: David Bowie
Länge: 03:53 min
Label: EMI CDP 7918432