Carl Amery

DPA/MARTIN GERTEN

Gedanken für den Tag

Cornelius Hell über: Wie kam der Tod in die Welt?

"Zorn und Gelächter" - Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers Carl Amery
von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer

"Der Tod ist ein Skandal." Diesem Satz von Elias Canetti habe ich lange zugestimmt - und mich gewundert, warum es fast alle so widerspruchslos zu akzeptieren scheinen, dass wir sterben müssen. "Niemand hätte je sterben dürfen", notierte Canetti schon 1951.
Die Religionen versuchen, dem Skandal des Todes einen Sinn zu geben. Das Christentum hat eine klassische Erklärung: Der Tod ist die Folge der Sünde. Im Paradies kannten Adam und Eva den Tod nicht. Das ideale Leben wäre also ein Leben ohne Tod. Wie so oft im Christentum - für mich allzu oft - ist wieder einmal der Mensch an allem schuld: Durch die Sünde hat er den Tod verursacht.

Vor ziemlich vielen Jahren habe ich mit Carl Amery über diese christliche Sicht des Todes gesprochen. Und zu meinem Erstaunen hatte für ihn schon die Frage, warum wir denn sterben müssen, etwas Absurdes. Er sagte mir:
Wenn da ein Satz kommt wie "Wie kam der Tod in die Welt?" und das als Folge des Bösen gesehen wird, dann kann ich als biologisch einigermaßen gebildeter Mensch nur sagen: Entschuldigung, aber der Tod ist eine Verkehrsform des Lebens. Wo gäbe es Jugend, wo gäbe es Wiederbelebung in irgendeiner Form ohne den Tod, der vorhergeht?
Als Carl Amery im Mai 2005 gestorben ist, fielen mir diese Sätze von ihm wieder ein und waren mir ein Trost in der Trauer um ihn. Als gut fünf Jahre später meine Mutter gestorben ist, haben mir diese Sätze auch geholfen - zusammen mit der Einsicht, dass das Leben für meine bettlägerige und immer schwächer werdende Mutter am Schluss doch immer mühsamer wurde.

"Der Tod ist eine Verkehrsform des Lebens." Irgendwann wird er auch mich einholen. Meine vier Kinder erleichtern mir diese Einsicht - weil in ihnen etwas von mir weiterlebt; und sie doch etwas ganz Neues daraus machen. Wenn sie schneller werden als ich, wenn sie Dinge können und wissen, die ich nicht kenne, zeigen sie mir, dass mein Leben langsam abnimmt und ihres wächst. Carl Amery hatte fünf Kinder - er muss wohl ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Jedenfalls nimmt sein Satz dem Tod etwas von seinem Schrecken: "Der Tod ist eine Verkehrsform des Lebens."

Service

Zusatzinfo:
In den Sendungen erwähnte Werke von Carl Amery:

Romane:
- Durchbruch ins dunkle Glück. Die Romane "Die Wallfahrer" und "Das Geheimnis der Krypta". Luchterhand Literaturverlag 2022.
- An den Feuern der Leyermark (Im Buchhandel nicht mehr erhältlich)

Essays:
- Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt. btb-Taschenbuch 2004
- Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute (Im Buchhandel nicht mehr erhältlich)
- Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums (Im Buchhandel nicht mehr erhältlich)
- Natur als Politik. Die ökologische Chance des Menschen (Im Buchhandel nicht mehr erhältlich)
- Bileams Esel. Konservative Aufsätze (Im Buchhandel nicht mehr erhältlich)

Weiter lieferbare Werke von Carl Amery:
- Briefe an den Reichtum. Hg. von Carl Amery. Luchterhand Literaturverlag 2005
- Hitler als Vorläufer. Ausschwitz - der Beginn des 21. Jahrhunderts? Sammlung Luchterhand 2002

Zusammenstellung: Cornelius Hell

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Camille Saint Saens 1835 - 1921
Album: SAINT SAENS: BLÄSERSONATEN U.A.
Titel: Sonate für Klarinette und Klavier op.167 (00:15:47) - Ausschnitt
Solist/Solistin: Michele Carulli
Solist/Solistin: Pietro Spada
Länge: 15:47 min
Label: Koch Europa 350-209

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