Eine goldene Schlange mit glitzernden Diamanten besetzt.

AFP/DANIEL LEAL

Radiokolleg - Leitmotiv Ehrgeiz

Ansporn oder Enttäuschungsfalle? (1) Gestaltung: Christa Nebenführ

Sucht man im Netz nach den Kommentaren einer Wissenschaftler/in oder Künstler/in zum Thema Ehrgeiz, ploppt schon nach den Worten "Ehrgeiz bei" die Schlagzeile "Ehrgeiz bei Kindern wecken" auf. Leben wir in einer Gesellschaft, die den Ehrgeiz zum Leitmotiv erkoren hat?

In seiner Schrift "Nikomachische Ethik" stellte der antike Philosoph Aristoteles fest, dass die ,gute Mitte' zwischen übersteigertem und fehlendem Ehrgeiz ,keinen Namen' hätte. Nach wechselvollen moralischen Bewertungen zeigte sich um 1900 beispielsweise im Deutschen Reich die moralische Doppelbödigkeit in der Diffamierung des Ehrgeizes als Aufsteigerproblem, um soziale Veränderungen abzuwehren.

Hundert Jahre später war er rehabilitiert. Der sozialdemokratische britische Premierminister Tony Blair versprach 2001 ein "strikt meritokratisches Programm" um "die Wirtschaft und die Gesellschaft für Verdienst und Talent zu öffnen". "Meritokratie" bezeichnet die Herrschaft der Leistungsträger als Staatsform und wurde als Begriff 1958 vom britischen Soziologen Michael Young erfunden, um den Zeitgeist satirisch aufs Korn zu nehmen. Sind wir mittlerweile in der Realsatire angekommen? "Ehrgeiz ist kein Schimpfwort, sondern sexy!" titelte eine österreichische Tageszeitung knapp sechzig Jahre später zum Frauentag.

Der Ehrgeiz ist untrennbar mit dem Leistungsgedanken verknüpft und dessen Primat hat zwar alte Standes- und Erbregelungen relativiert, aber deshalb nicht unbedingt die Lebensumstände der meisten verbessert oder gar erleichtert. Eine politische Utopie von mehr Gerechtigkeit droht in Versagensängste und Depressionsneigung jener zu kippen, die eben nicht ehrgeizig und leistungsfähig genug sind oder waren.

Christa Nebenführ hat in Interviews mit Fachleuten und Bürger/innen herauszufinden versucht, ob und wie die von Aristoteles erstrebte Mitte zwischen zu viel und zu wenig Ehrgeiz heute gefunden werden kann.

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Literatur- und Links:
Birgit Langebartels: Leben im Leerlauf - die verborgene Logik der Depression verstehen.
2019 Beltz Verlag
Eckart Goebel: Ehrgeiz. Dynamiken zweckrationaler Passion. Wilhelm Fink Verlag 2020
Nina Verheyen: Die Erfindung der Leistung, Berlin 2018
Michael Sandel: Vom Ende des Gemeinwohls. Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt. Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter. S. Fischer, Frankfurt 2020
Michael Sandel: The Tyranny of Merit: What's Become of the Common Good?. Farrar, Straus and Giroux. 2020.
Michael Young: The Rise of the Meritocracy. 1958
Katharina Tiwald: Macbeth Melania. 2020 Milena Verlag, Wien
André Stern: ... und ich war nie in der Schule: Geschichte eines glücklichen Kindes. Herder Verlag 2013
Josef H. Reichholf: Warum wir siegen wollen. Der sportliche Ehrgeiz als Triebkraft in der Evolution des Menschen. dtv Verlag 2001
Margaret R. Rutherford: Perfectly Hidden Depression. 2019
Rainer Hank: Die Loyalitätsfalle. Penguin Verlag 2021
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Edition Suhrkamp 2016

www.republik.ch/ Das digitale Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.
www.bös.at/ Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen

Sendereihe

Gestaltung

  • Christa Nebenführ