Arzt hält Stethoskop in der Hand

APA/HELMUT FOHRINGER

Medizin und Gesundheit

K(l)assenloses Medizinsystem

Die aktuelle Debatte zur "Abschaffung" der Wahlärzte

"Gut, aber teuer" - so könnte man das Österreichische Gesundheitssystem knapp umreißen. Wer hierzulande krankenversichert ist, kann sich darauf verlassen, eine hochwertige Behandlung zu erhalten. Auch "auf Kasse" bekommt man kostspielige Medikamente, High-Tech-Operationen, eine hochwertige stationäre Betreuung oder eine wirkungsvolle Rehabilitation. Zwar gibt es im Spital, bei Vorliegen einer entsprechenden Zusatzversicherung, die freie Arztwahl oder die Möglichkeit, den Aufenthalt in einem Einzelzimmer komfortabler zu gestalten. Diagnose und Therapie sind jedoch für alle Patientinnen und Patienten im Großen und Ganzen gleich.

Gleicher als gleich

Im niedergelassenen Bereich werden manche jedoch dann doch etwas gleicher behandelt. Hier wird die Zweiklassenmedizin schlagend: Eine Medizinerin ohne Zeitdruck zu finden, ist ebenso schwierig wie einen zeitnahen Termin in einer Facharztordination zu ergattern. Monatelange Wartezeiten, überlaufene Praxen und oft allzu kurze Gespräche mit den Ärzten, die unter Zeitdruck stattfinden, sind nicht die Ausnahmen. Dies frustriert nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Ärztinnen mit Kassenvertrag, die für ihre Leistungen nicht gerade fürstlich entlohnt werden.

Hatten sich Mediziner vor zwei Jahrzehnen, damals oft in Ermangelung einer Kassenplanstelle, als sogenannte Wahlärzte niedergelassen, so weichen mehr und mehr Mediziner, auch aufgrund besserer Arbeitsbedingungen, auf diese Alternative aus. Und gab es früher noch deutlich mehr Kassen- als Wahlärzte, so hat sich das Verhältnis vor rund 15 Jahren umgekehrt. Mittlerweile bleiben in manchen Regionen Österreichs viele Ordinationen mit Kassenvertrag unbesetzt.

Wahlarztbesuch für viele kaum leistbar

Bei einem Wahlarztbesuch werden 80 Prozent des Kassentarifs erstattet. Hat man als Privatpatient 100 Euro hingeblättert, so erhält man jedoch nicht 80 Euro zurück. Sondern lediglich 80 Prozent jenes Betrages, den die Kasse für die Leistung bei einem Vertragsarzt bezahlen würde. Und dies ist in der Regel deutlich weniger.
Denn Wahlärzte können ihre Honorare selbst gestalten, ohne Bindung an Ober- oder Untergrenzen "Nur wer über die finanziellen Mittel verfügt, hat die Möglichkeit, sich an einen Wahlärztin oder einen Wahlarzt zu wenden", kritisiert Wolfgang Panhölzl von der Arbeiterkammer Wien, der hier dringenden Handlungsbedarf sieht. Denn die Kassen gewähren erst dann Rückerstattung, wenn das Honorar bereits bezahlt wurde. Eine entsprechende Liquidität ist also Grundvoraussetzung.

Reformbedarf von allen Seiten gesehen

Die Diskussion zur Reform dieses Systems wurde kürzlich seitens der ÖGK vom Zaun gebrochen, da auch Leistungen der Wahlärzte, zumindest teilweise, mit Geldern aus dem öffentlichen Gesundheitssystem finanziert werden. Sogar die "Abschaffung" des Wahlarztes stand im Raum, bzw. die Umstellung auf das deutsche System, wo es lediglich Kassen- und Privatärzte gibt. Darüber hinaus möchte man seitens der Gesundheitskasse jedoch mit Verbesserungen bei Bürokratie, Hilfe bei Praxisgründung und höheren Honoraren die Attraktivität für die, von den Medizinern zunehmend geschmähten, Kassenplanstellen erhöhen. Dieser Vorstoß wird zwar von der Ärztekammer begrüßt. Am Wahlarztsystem, als gut etablierte Einrichtung, möchte man jedoch festhalten.
Für den amtierenden Gesundheitsminister Johannes Rauch sollten Wahlärzte "als Zusatzmöglichkeit, nicht jedoch als Ersatz zur Basisversorgung" dienen.

Dr. Ronny Tekal diskutiert mit seinen Gästen in der aktuellen Ausgabe des Radiodoktors, wie viele Klassen das Gesundheitssystem verträgt und wie man sich auch als Kassenpatient eine gute Betreuung sichern kann.

Moderation und Sendungsvorbereitung: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl, MA

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Haben wir Ihrer Meinung nach eine Zweiklassen-Medizin?

Wie schwierig ist es für Sie, einen Termin bei einer niedergelassenen Fachärztin bzw. einem Facharzt zu bekommen?

Wie zufrieden sind Sie mit der medizinischen Betreuung als Kassenpatient?

Waren Sie bereits bei Wahlärztinnen?

War das "Service" dort nach Ihrem Geschmack?

Service

Studiogast im Funkhaus Wien:

MMag.a Maria M. Hofmarcher-Holzhacker
Ökonomin, Expertin für das Gesundheitssystem
Direktorin Health System Intelligence
Meduni Wien
Tel: +43 664 88 50 89 17
E-Mail
Homepage


Am Telefon:

Dr. Edgar Wutscher
Arzt für Allgemeinmedizin in Zirl/T
Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der Österreichischen Ärztekammer
Ärztekammer Tirol
Anichstraße 7
6020 Innsbruck
Tel.: +43 512 52 0 58-0
E-Mail
Homepage

Mag. Wolfgang Panhölzl
Jurist
Leiter der Abteilung Sozialversicherung, Arbeiterkammer Wien
Prinz Eugenstraße 20-22
A-1040 Wien
Tel: +43 1 50165-0
E-Mail
Homepage

Info-Links:

Österreichische Ärztekammer
Portal der Arbeiterkammern
Portal der Österreichischen Sozialversicherung
Definition Wahlarzt (praktischarzt.at)
Informationen zu Kassen- und Wahlärzten (Gesundheitsministerium)
Wahlärzte: Debatte über Eindämmung und Kassenstellen (news.orf.at, 4/2022)
Zu wenig KassenärztInnen führen zu Zwei-Klassen-Medizin (Wolfgang Panhölzl, AK 2021)
Dossier zum Österreichischen Gesundheitssystem (Dossier 2022)

Buch-Tipps:

Günther Loewit, "7 Milliarden für nichts: Ein Landarzt rechnet mit dem Gesundheitssystem ab", edition a, 2020

Rudolf Likar, Georg Pinter, Ferdinand Waldenberger, Herbert Janig, "Im kranken Haus: Ärzte behandeln das Gesundheitssystem", Ueberrreuter, 2020

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