Johanna Schwanberg

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über Georges Braque

Zerlegte Wirklichkeit - Zum 140. Geburtstag von Georges Braque.
Von Johanna Schwanberg, Kunstwissenschafterin und Direktorin des Dom Museum Wien

Eine Kohlezeichnung aus dem Jahr 1912. Neben gezeichneten Weintrauben und Wortfragmenten finden sich ins Bild geklebt Stücke einer echten Tapete. Aus heutiger Sicht wenig spektakulär. Aber was für eine Sensation war das vor 110 Jahren. Während die Maler vergangener Jahrhunderte versuchten, Gegenstände täuschend echt nachzuahmen, marschierte der junge Künstler Georges Braque einfach in ein Geschäft in Avignon, um eine Rolle braunes Holzmaserpapier zu kaufen. Wohl überlegt, klebte er Teile dieses Materials auf ein Blatt, auf das er bereits gezeichnet und geschrieben hatte.

Er schuf so unter dem Titel "Obstschale und Glas" sein erstes "Papier collé". Später sollten Braque, Picasso und dann auch Juan Gris immer mehr Materialien aus dem realen Leben in die Kunst hineinholen: Zeitungsausschnitte, Stücke einer Zigarettenschachtel, Kartons. Braque hatte die Papiercollagen im inspirierenden Konkurrenzkampf mit seinem Künstlerfreund Pablo Picasso erfunden. Als "zwei zusammen angeseilte Bergsteiger" hat Braque die Beziehung zwischen den beiden Künstlern in diesen Jahren charakterisiert.

Picasso hat berichtet, dass sich die beiden Freunde allabendlich trafen, um sich gegenseitig ihre Werke zu zeigen: Dazu der spanische Maler: "Jeder musste sehen, was der andere tagsüber gemacht hatte." Die enge Bindung erstreckte sich nur über wenige Jahre und endete spätestens, als Braque während des Ersten Weltkrieges als Soldat eingezogen wurde und dort eine schwere Kriegsverletzung davontrug. Picasso hat rückblickend gemeint - wohl im übertragenen Sinne: Ich habe ihn nie mehr gesehen."

Viel wurde über diese unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten und deren Wettrennen in Bezug auf die Erfindung des Kubismus gesagt. Spannender als die Frage, wer was um einige Monate früher erfunden hat, finde ich die Beobachtung, dass es offenbar der lebendige Austausch zwischen den beiden war, der dazu geführt hat, etwas gänzlich Neues zu wagen. Mir geht es oft auch so: Erst durch ein geeignetes Gegenüber, das mich inspiriert, mir widerspricht, mich herausfordert, kann ich mein Potential voll entfalten.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie 1866 - 1925
Bearbeiter/Bearbeiterin: Sebastian Gürtler
Bearbeiter/Bearbeiterin: Amarcord Wien
Album: AMARCORD WIEN: SATIE
Titel: Gymnopedie Nr.1 / Bearbeitung für Violine, Violoncello, Kontrabaß und Akkordeon
gymnopédie
Ausführende: Amarcord Wien
Ausführender/Ausführende: Sebastian Gürtler
Ausführender/Ausführende: Michael Williams
Ausführender/Ausführende: Gerhard Muthspiel
Ausführender/Ausführende: Tommaso Huber
Länge: 03:47 min
Label: material records MRE0142

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