Eric Frey über Schawuot

10. Juni 2022, 06:56

"Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist." Dieser Satz aus Giuseppe Tomasi di Lampudas "Leopard" ist eines der berühmtesten Zitate der modernen Literatur und wirft entscheidende Fragen über die Beziehung zwischen Tradition und Innovation auf, ohne sie endgültig zu beantworten.

Denn alles darf sich nicht ändern, wenn man etwas Wertvolles bewahren will. Das gilt auch für Religionen. Als die frühen Christen entschieden, dass die Gebote der Tora, deren Übergabe an Moses zu Schawuot diese Woche gefeiert wird, für sie nicht mehr gelten, verließen sie das Judentum und schufen eine neue Religion. Denn das Gesetz ist der Kern des jüdischen Glaubens. Liberale Strömungen im Judentum sind zu gewissen Veränderungen bereit, so etwa die völlige Gleichstellung von Männern und Frauen in der Religion. Dabei wird auch unter liberalen Juden diskutiert, wie weit man sich vom Althergebrachten entfernen darf.

Diese Frage stellt sich anderswo mit noch größerer Schärfe. Wie sehr dürfen sich Länder oder Städte durch Zuwanderung verändern, damit sie noch Heimat bleiben? Solche Ängste dominieren die politischen Debatten in allen Demokratien, oft mit unangenehm aggressiven Tönen. Auch in der Welt der Bühnen wird dieser Konflikt ausgetragen. Wie modern darf die Inszenierung einer Wagner-Oper sein, wie stark darf der Text eines Schiller-Dramas verändert werden, damit es noch ein Schiller ist? Da sorgen zeitgenössische Produktionen vor allem bei älteren Theaterbesuchern für Ärger.

Persönlich glaube ich, dass etwa Shakespeare mit sehr modernen Interpretationen seiner Stücke gut leben könnte, denn auch er ging recht frei mit seinen Vorlagen um. Und Aufführungen wie zu Shakespeares Zeiten würden einem konservativen Publikum schon gar nicht gefallen.

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• Alexandra Mantler