Nordirland: Fürs Protokoll

22. Juni 2022, 13:00

Die Regierung in London droht weiterhin mit einseitigen Änderungen am Nordirland-Protokoll - jener Zusatzvereinbarung zum Brexit, die unter anderem vorsieht, dass die zum Vereinigten Königreich gehörende Provinz auf der irischen Insel weiter Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion bleibt. Warenkontrollen an der konfliktträchtigen irischen Landgrenze sollten damit vermieden werden. Brüssel und Dublin pochen weiterhin vehement auf eine Einhaltung, alles andere wäre "inakzeptabel" und ein "Bruch internationalen Rechts", hieß es am Wochenende aus EU-Kommission und -Parlament. Die de-facto Verlagerung der Zollgrenze in die irische See brachte erhebliche Komplikationen für die britische Seite, und die London-treuen Unionist:innen in Belfast fürchten, isoliert dazustehen.

Jüngste politische Entwicklungen könnten dem Streit neue Wendungen geben. Bei den nordirischen Regionalwahlen Anfang Mai fuhr die republikanische Sinn Féin einen deutlichen Sieg ein; in der Republik Irland ist sie schon seit 2020 stimmenstärkste Partei, wenn auch in Opposition, und hat sich in Umfragen seither sogar noch gesteigert. In London dagegen sitzt eine von Krisen und Skandalen geschwächte Tory-Regierung - die mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Wahl nicht überstehen wird, sagt der Historiker Dieter Reinisch. Er lehrt und forscht über Internationale Beziehungen und Geschichte und beobachtet speziell den Nordirland-Konflikt und seine Weiterwirkung in der Gegenwart. Er rechnet damit, dass Parteien wie Sinn Féin oder auch die schottisch-nationalistische SNP sich bald als Koalitionspartnerinnen positionieren - und das mit einer Forderung nach Unabhängigkeitsreferenden verbinden könnten.

Das nächste Kapitel der Brexit-Geschichte wird gerade geschrieben. Könnte es tatsächlich mit der irischen Wiedervereinigung enden, gar das Vereinigte Königreich zum Einsturz bringen - und ist es Boris Johnson, der soeben den Grundstein dafür legt? Welche Antworten finden Nordirlands Politik und Gesellschaft? Dieter Reinisch diskutiert mit Xaver Forthuber und unseren Hörer:innen: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

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