Ein Blatt mit Wassertropfen

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Gedanken für den Tag

Martin Schenk über das Vertrauen in die Welt rundum

"Vom Alltag der Weltbeziehungen". Martin Schenk ist Psychologe und Sozialexperte der Diakonie

Alles begann mit einem morgendlichen Frühstück in einem Café. Der Leiter des Schauspielhauses in Wien, Airan Berg, hat mich auf einen Kaffee eingeladen. Er habe da eine Idee, vielmehr ein Bedürfnis, sein Haus allen und unterschiedlichsten Zuschauer:innen zu öffnen, auch denen, die sich den Theaterbesuch gar nicht leisten könnten, sagt er.

Das trifft sich gut, antworte ich. Mir fallen unzählige Frauen, Männer und Kinder ein, die ein solches Angebot gerne annehmen würden - aus den Notstellen, Beratungseinrichtungen, der Krisenhilfe. Gut, dann machen wir einen Pass für Menschen, die unter der Armutsgrenze leben und keine finanziellen Möglichkeiten mehr haben, und dieser Kulturpass gilt als Eintrittskarte im Schauspielhaus. Und so geschah es dann auch.

"Ich könnte mir das sonst nie leisten", sagt Kulturpassinhaberin Beate. "So konnte ich wenigstens meiner sozialen Isolation entgegenwirken". Warum brauchen Leute, die eh nichts haben, einen Theaterbesuch, Tanz oder Kino? Da geht's doch um Wohnung, Job und Einkommen, haben uns einige gefragt. Schon, um das geht es jedenfalls. Aber: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er lebt auch von guten Beziehungen, tiefen Erfahrungen, Auseinandersetzung oder Freundschaften. Kunst und Kultur können Überlebensmittel sein, die helfen, "den Atem nicht zu verlieren", sagt Beate.

Denn es geht darum, was Menschen haben - aber immer auch, was sie tun und was sie sein können. Die Welt bekommt so einen Sinn. Mit Ohnmacht vergeht dieser "Weltsinn". Je geringer der soziale Status, desto eher erleben Menschen Situationen der Ohnmacht, der Einsamkeit und der Beschämung. Keine Handlungsspielräume haben, weniger Anerkennung bekommen und von Dingen ausgeschlossen zu sein, über die andere sehr wohl verfügen, ist Ausdruck einer sozialen Krise, in der auf Dauer unsere Selbstwirksamkeit und unser Weltsinn leiden. Lebensmittel sind etwas zum Essen. Es gibt aber eben auch Lebensmittel, die wir nicht essen können und trotzdem zum Leben brauchen: Überlebensmittel, die helfen, nicht den Atem zu verlieren.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Philip Glass geb.1937
Urheber/Urheberin: Philip GLASS 31.1.1937 Baltimore, Maryland
Album: PHILIP GLASS: DANCEPIECES
* Dance 8 (00:04:58)
Titel: In the upper room - Choreographie von Twyla Tharp
Orchester: Instrumentalensemble
Leitung: Michael Riesman
Ausführender/Ausführende: Dora Ohrenstein
Länge: 04:58 min
Label: CBS MK 39539

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