Autos und Laster am Weg zur Grenze Russlands.

AFP/STRINGER

Punkt eins

Krieg als patriotische Pflicht?

Über den Umgang mit Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern.
Gäste: Ruxandra Staicu und Sebastian Frik, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien & Dr. Peter Pirker, Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.
Moderation: Elisabeth Scharang.
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Nach der Teilmobilmachung in Russland will die deutsche Bundesregierung auf europäischer Ebene eine gemeinsame Linie im Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern, zumeist sind es Männer, erreichen. Russen im wehrpflichtigen Alter oder Reservisten müssen künftig mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen, wenn sie die Teilnahme an Kampfhandlungen verweigern. Im Jahr 2011 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte klar, dass es ein Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Aber wie relevant ist dieses Recht im gegenwärtigen Krieg zwischen Russland und der Ukraine? Welchen rechtlichen Status haben russische und ukrainische Deserteure, wenn sie über die Grenzen in die EU kommen? Erweitert eine unbürokratische Aufnahme von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern als anerkannte Flüchtlinge die Diskussion über friedliche Perspektiven?

Seit nunmehr 30 Jahren gibt es die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung in Wien. "'Kein Mensch ist illegal' ist für uns nicht nur ein Spruch auf einem T-Shirt, sondern unser Grundkonsens", fasst Sebastian Frik zusammen. "Unser Anspruch ist, eine unabhängige und qualitative Rechtsberatung für ALLE anzubieten." Die Beratungsstelle wurde 1992 im Zuge des Krieges in Ex-Jugoslawien gegründet. "Der Krieg damals brachte zahlreiche geflüchtete Wehrdienstverweigerer nach Österreich. Wehrdienstverweigerung ist und war auch in Österreich eine Straftat, seine Nachbarn und Nachbarinnen nicht zu töten, war kein anerkannter Fluchtgrund. Diese rechtliche Lücke für schutzsuchende Menschen war unser Beginn", erzählt Ruxandra Staicu. Die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, hervorgegangen aus der ARGE für Wehrdienstverweigerung und Gewaltfreiheit, fordert damals wie heute Asyl für alle Deserteure und Kriegsdienstverweigerer.

Im Balkan-Krieg in den neunziger Jahren spielten die Kriegsverweigerung und Desertion eine wichtige Rolle im Kriegsgeschehen und stellten Armeen auf allen Seiten vor Rekrutierungsprobleme. Auch der Historiker Peter Pirker nahm damals vorübergehend einen geflüchteten Deserteur bei sich auf. "Eine Grundfrage ist: Hat der Staat das Recht, auf die Bürger, zumeist sind es Männer, zuzugreifen und den Einsatz ihres Lebens für einen Krieg einzufordern?" stellt er zur Diskussion. In den letzten drei Jahren erforschte Peter Pirker in einem Projekt der Universität Innsbruck die sozialen, rechtlichen und politischen Folgen für Deserteure der deutschen Wehrmacht. Mit den negativen Nachwirkungen hatten die überlebenden Deserteure zumeist ein Leben lang zu kämpfen, die politische und soziale Rehabilitierung erfolgte erst spät. "Es bestehen Ähnlichkeiten, mit welchen abwertenden Stereotypen Deserteure heute in Russland, aber auch in der Ukraine belegt werden," sagt Peter Pirker.

Wird der Dienst an der Waffe als patriotische Pflicht aller Männer im wehrpflichtigen Alter heroisiert? Wie verändert sich diese gesellschaftspolitische Debatte über das elementare Recht, nicht zu töten und nicht getötet zu werden, wenn sich ein Kriegsschauplatz innerhalb oder nahe an der eigenen Landesgrenze abspielt?

Diskutieren Sie mit Elisabeth Scharang und ihren Gästen Ruxandra Staicu und Sebastian Frik von der Deserteursberatung und Peter Pirker vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie Ihren Kommentar und Ihre Fragen an punkteins(at)orf.at

Sendereihe

Übersicht

Playlist

Untertitel: John Lennon
Titel: Imagine
Ausführende: Julian Lennon
Länge: 03:13 min
Label: BMG Records

Untertitel: Pete Seeger
Titel: Where have all the flowers gone?
Ausführende: Esther Kaiser
Länge: 04:25 min
Label: GLM Records

Untertitel: Nils Frahm
Titel: Went Missing
Ausführende: Nils Frahm
Länge: 04:59 min
Label: Erased Tape Records

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