Brigitte Schwens-Harrant

ORF/JOHANNES PUCH

Gedanken für den Tag

Sylvia Plath

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", beleuchtet Leben und Schreiben der vor 90 Jahren, am 27. Oktober 1932, in Massachusetts geborenen Lyrikerin Sylvia Plath

Erfunden

Vor 60 Jahren, im Oktober 1962, verfasste Sylvia Plath jeweils frühmorgens Gedichte, von denen sie ihrer Mutter schrieb: ". diese Gedichte werden mich berühmt machen". Die Zuversicht war wohl eher vorgespielt.

Im Jänner hatte sie ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Nun lebte sie getrennt von ihrem Mann, dem englischen Lyriker Ted Hughes. Die Gedichte, die sie in den Monaten vor ihrem Tod am 11. Februar 1963 verfasste, wurden unter dem Titel "Ariel" postum von ihm herausgegeben und machten sie tatsächlich berühmt. Und sie sorgten, aufgrund der von ihm vorgenommenen Auswahl - er ließ einige Gedichte weg und nahm andere dazu - bis heute für Diskussionen.

"Die Sammlung der ,Ariel'-Gedichte wurde für mich zum Symbol der Vereinnahmung meiner Mutter und der breitgestreuten Verleumdung meines Vaters", schrieb Tochter Frieda in der Neuausgabe 2004. "Es war, als hätte man sich die Lehmerde ihrer poetischen Energie genommen, um daraus Varianten meiner Mutter hervorzubringen, zu erfinden (.) Als könnten sie sich so meine wirkliche, tatsächliche Mutter aneignen. (.) Ich sah, wie Gedichte wie ,Lady Lazarus' und ,Daddy' immer und immer wieder zerpflückt wurden, und der Moment, in dem meine Mutter sie geschrieben hatte, auf ihr ganzes Leben, auf sie als ganzer Mensch übertragen wurde, als sei das die Summe ihrer gesamten Erfahrungen."

Der Feminismus, der später einsetzte, las das Gedicht "Lady Lazarus" als Widerstand gegen das Opferdasein der Frauen, ja als Aufruf, sich zu rächen. Traumata wurden in ihren Gedichten aufgespürt - entstanden seien sie unter anderem durch den frühen Tod des Vaters. Und man konnte sich sogar darüber ärgern, dass die English Heritage-Plakette nicht an jener Wohnung angebracht wurde, wo die Dichterin starb, sondern dort, wo sie, wie die Tochter schreibt, glücklich und produktiv gewesen war.

"Seit ihrem Tod wurde meine Mutter zerpflückt, analysiert, neuinterpretiert, wiedererfunden, fiktionalisiert und in einigen Fällen komplett erfunden", so Tochter Frieda. "Ihre eigenen Worte beschreiben sie am besten. Ihre ständig wechselnden Stimmungen bestimmten, wie sie die Welt sah, und bestimmten die Art, in der sie ihre Gegenstände mit gnadenlosem Blick fixierte."

Service

Buch, Sylvia Plath, "Ariel", Suhrkamp 2008

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner geb.1955
Gesamttitel: TROIS COULEURS: BLEU / Original Filmmusik
Titel: Closing credits
Anderer Gesamttitel: DREI FARBEN: BLAU / Original Filmmusik
Orchester: Sinfonia Varsovia
Leitung: Wojciech Michniewski
Solist/Solistin: Jacek Ostaszewski
Länge: 02:04 min
Label: Virgin 724383902729

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