Mirga Grazinyte-Tyla

Frans Jansen

Das Ö1 Konzert

Musik in Zeiten des Staatsterrors

Orchestre Philharmonique de Radio France, Dirigentin: Mirga Grazinyte-Tyla; Patricia Kopatchinskaja und Arno Madoni, Violine; Catherine Cournot, Klavier; Jérôme Voisin, Klarinette. Mieczyslaw Weinberg: Aria op. 9 Dmitri Schostakowistsch: Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77 Igor Strawinsky: Geschichte vom Soldaten (Teilwiedergabe) * Mieczyslaw Weinberg: Symphonie Nr. 3 h-Moll op. 45 (aufgenommen am 9. April 2021 in der Maison de la Radio et de la Musique, Paris). Präsentation: Peter Kislinger

Im Zentrum des Konzerts stehen zwei Werke, die mit der repressiven sowjetischen Kulturpolitik der 1950er Jahre in Konflikt gerieten.


Das 1. Violinkonzert von Schostakowitsch

Dmitri Schostakowitsch vollendete sein 1. Violinkonzert am 24. März 1948. Am 20. Februar 1948 hatte das ZK der KPdSU (Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion) einen Beschluss gegen "Formalismus und Volksfremdheit" in der Kunst verabschiedet. Namentlich erwähnt fanden sich Schostakowitsch, Prokofjew, Chatschaturjan, Weinberg und andere sowjetische Komponisten. Vorgeworfen wurden ihnen "formalistische Verzerrungen und antidemokratische Tendenzen, die dem Sowjetvolk und seinem künstlerischen Geschmack fremd sind." Unter Androhung von Verfolgung wurde Komponisten und Kunstschaffenden so genannte "volksnahe" Kunst abverlangt. Schostakowitsch wurde seiner Funktionen am Konservatorium in Leningrad (das heutige Sankt Petersburg) und in Moskau enthoben. Uraufgeführt wurde das Violinkonzert erst 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod.

Der Beginn des 2. Satzes wird mittlerweile als Anspielung auf den Prolog zu Mussorgskis Oper "Boris Godunow" gedeutet. Zar Boris verübt Gräueltaten - er beruft sich auf "das Volk". Das 1. Thema dieses Satzes könnte man als Stalin-Thema verstehen. Das 2. Thema wiederum verwendet Schostakowitsch oft, um Macht und Gewalt zu charakterisieren, etwa in seiner Oper "Lady Macbeth von Mzensk". Die Groteske dieses Scherzos hört die Solistin Patricia Kopatchinskaja als Porträt des Heiligen Narren, der nicht zerstört werden kann, der keine Angst hat, der über den Diktator Stalin sogar lacht, weil er weiß, dessen Terrorregime würde nicht ewig währen. Für die Musikwissenschaftlerin Sigrid Neef ist die Burleske des Schlusssatzes kein nostalgisch verklärtes Volksfest, sondern eine von Schostakowitsch hörbar komponierte staatlich diktierte Feierlichkeit.


Weinbergs 3. Symphonie

Genauso listig unterlaufe Mieczys?aw Weinberg in seiner in 1949-50 entstandenen 3. Symphonie im finalen Allegro-vivace-Satz die von der Sowjetmacht dekretierte "Volksnähe". Der 1919 in Warschau Geborene revidierte das Werk für die Uraufführung 1959. Die Erstfassung war mit der nach dem Tod Andrei Schdanows 1948 immer noch gültigen "Schdanow Doktrin" in Konflikt geraten. Dass Weinberg den 1. Satz seiner der Symphonie "optimistisch" und pastoral mit Anklängen an ein weißrussisches Volkslied begonnen hatte, nutzte wenig. Die Uraufführung wurde mit der offiziellen Begründung abgesagt, der Komponist habe "Fehler entdeckt, die er zu korrigieren wünschte."

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Mieczyslaw Weinberg /1919 - 1996
Titel: Aria - für Streichquartett op.9 (arr. für Streichorchester)
Orchester: Orchestre Philharmonique de Radio France
Länge: 03:30 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Dimitri Schostakowitsch/1906 - 1975
Titel: Konzert für Violine und Orchester Nr.1 in a-moll op.99
Violinkonzert
* Nocturne : Moderato - 1.Satz
* Scherzo : Allegro - 2.Satz
* Passacaglia : Andante - 3.Satz
* Burlesque : Allegro con brio; Presto - 4.Satz
Solist/Solistin: Patricia Kopatschinskaija
Orchester: Orchestre Philharmonique de Radio France
Leitung: Mirga Grazinyte-Tyla
Länge: 37:00 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Igor Strawinsky/1882 - 1971
Titel: L' histoire du soldat - Suite aus der gleichnamigen Pantomime für Klarinette, Violine und Klavier
* II. Die Violine des Soldaten
Anderssprachiger Titel: Die Geschichte vom Soldaten
Solist/Solistin: Catherine Cournot / Klavier
Solist/Solistin: Jérôme Voisin / Klarinette
Solist/Solistin: Arno Madoni / Violine
Länge: 02:30 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Mieczyslaw Weinberg /1919 - 1996
Titel: Symphonie Nr. 3 in h-Moll op. 45
* Allegro - 1.Satz
* Allegro giocoso - 2. Satz
* Adagio - 3. Satz
* Allegro vivace - 4. Satz
Orchester: Orchestre Philharmonique de Radio France
Leitung: Mirga Grazinyte-Tyla
Länge: 33:42 min
Label: EBU

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