Ein Model in einem durchsichtigen Kleid.

AFP/CENTRAL PRESS

Punkt eins

Auf der Couch mit Josefine Mutzenbacher

Über die Aktualität einer historischen Männerfantasie. Gäste: Ruth Beckermann, Regisseurin & Prof. Clemens Ruthner PhD, Literatur- und Kulturwissenschaftler, Trinity College Dublin. Moderation: Marlene Nowotny.
Anrufe kostenlos aus ganz Österreich unter 0800 22 69 79. E-Mails an punkteins(at)orf.at

Es ist ein Buch, das bis heute irritiert: "Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt" zählt für die einen zur erotischen Weltliteratur, für andere handelt es sich um inakzeptable Kinderpornographie - in Deutschland stand das Buch bis 2017 auf dem Index. Die Regisseurin Ruth Beckermann hat das Buch, das Felix Salten zugeschrieben wird, in den Mittelpunkt ihres jüngsten Films gestellt.

Dafür castete sie Männer zwischen 16 und 99 Jahren, die im Film auf der Couch sitzend Passagen des Textes lesen und anschließend von Ruth Beckermann zu ihren Gedanken, Assoziationen oder Vorbehalten befragt werden. Das Buch, 1906 veröffentlicht, schildert das Leben einer Wiener Sexarbeiterin, von ersten sexuellen Erfahrungen als Kind, über sexuellen Missbrauch bis zu ihrer Arbeit als Prostituierte, die sie mit 14 Jahren begann. Alles lustvoll pornographisch beschrieben aus einer fiktiven Ich-Perspektive.

Die im Film befragten Männer reagieren unterschiedlich auf den Text: Es werden moralische Bedenken artikuliert, eigene Erfahrungen geschildert, manche fassen ihn rein literarisch auf, andere sehen darin nicht Fiktion, sondern Tatsachen. Für Ruth Beckermann ist "Josefine Mutzenbacher" eine Männerfantasie. Sie wollte untersuchen, wie Sprache und Inhalt eines mehr als einhundert Jahre alten Textes heute wirken und eröffnet damit ein Panorama von Männlichkeiten und eine Diskussion über Sexualität, Scham und Geschlechterfragen. Bei der Berlinale gab es dafür den Preis als bester Film der Sektion "Encounters". In Österreich ist er ab 4. November im Kino zu sehen.

Auch in den Literaturwissenschaften blieb die Mutzenbacher lange wenig beachtet. Ein Wissenschaftler, der die literarische Auseinandersetzung mit dem Text angeregt hat, ist Clemens Ruthner, der am Trinity College in Dublin forscht. Das beginnt beim obszön-humoristischen Sprachgestus, den etwa Oswald Wiener schätzte, und führt zur Beschäftigung mit Fragen, wie, wer den Text lesen dürfe, ob es sich um einen Vorgriff auf einen sex-positiven Feminismus handle oder aber die klassische Darstellung patriarchaler und heteronormativer Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität, die gesellschaftliche Machtstrukturen festschreiben?

Bei Marlene Nowotny in Punkt eins diskutieren Ruth Beckermann und Clemens Ruthner über die Aktualität des historischen Textes zwischen gefährlichem Kulturprodukt und erotischer Weltliteratur. Reden Sie mit: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Mutzenbacher ist ab 4.11. in Österreich im Kino zu sehen.

Das Buch https://sonderzahl.at/product/die-mutzenbacher/, mitherausgegeben von Clemens Ruthner, ist im Verlag Sonderzahl erschienen.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Urheber/Urheberin: Henry Purcell
Titel: Fantasia Nr. 1 in 3 Teilen; zT unterlegt
Ausführender/Ausführende: Jordi Savall & Hesperion XX
Länge: 03:16 min
Label: Harmonia Mundi

Urheber/Urheberin: Henry Purcell
Titel: Fantasia Nr. 11 in G-Moll; zT unterlegt
Ausführender/Ausführende: Emerson Quartet
Länge: 03:09 min
Label: Decca

Urheber/Urheberin: Henry Purcell
Titel: Fantasia Nr. 6 in F-Dur; zT unterlegt
Ausführender/Ausführende: Emerson Quartet
Länge: 03:49 min
Label: Decca

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