"Sie werden lachen, die Bibel"

5. November 2022, 06:56

Die Bibel, im Deutschen geprägt durch Martin Luthers Übersetzung, lädt ein zur Zwiesprache. Über die Jahrhunderte hinweg haben die großen Dichter dieses Gespräch geübt.

Heinrich Heine hat gemeint, durch Luthers Übersetzung sei das alte Buch "eine ewige Quelle der Verjüngung für unsere Sprache" geworden. Johann Wolfgang Goethe beschreibt diesen Dialog so: "Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei eines jeden Sache und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserem eigenen Inneren verhalte und wiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde." Und Berthold Brecht hat auf die Frage nach seiner Lieblingslektüre geantwortet: "Sie werden lachen, die Bibel."

Im Herbst des Jahres 2021, 500 Jahre nachdem Martin Luther mit seiner Übersetzung des Neuen Testaments begonnen hatte, war die Schriftstellerin Iris Wolff eingeladen, einen Monat auf der Wartburg zu verbringen und dort zu schreiben. Bevor sie etwas schrieb, wollte sie lesen. Sie hat sich das Neue Testament selbst vorgelesen, laut, wie es bis ins tiefe Mittelalter üblich gewesen ist. Das leise inwendige Lesen ist eine späte Erfindung.

Mit Walter Benjamin bezeichnet sie diese Aneignung als Nachreife. "Denn in seinem Fortleben ändert sich das Original. Es gibt eine Nachreife auch der festgelegten Worte." Diese Nachreife ist nur möglich, so Iris Wolff, "wenn sich Menschen zu einem Text in Beziehung setzen, dann bleibt er lebendig. Dabei muss ein Text es einem nicht leicht machen, nicht auf Anhieb verständlich sein, im Gegenteil. Luther verwies darauf, dass man das Wort im Buch immer treiben und reiben, lesen und wiederlesen soll. Er bezeichnete diesen Vorgang als Meditation."

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• Alexandra Mantler