Röhrchen mit DNA Probe in einem Labor

APA/HELMUT FOHRINGER

Medizin und Gesundheit

Ist das Zeitalter der Gentherapien angebrochen?


In den vergangenen drei Jahrzehnten war dieser Therapieansatz von hochgesteckten Erwartungen, vielen neuen Erkenntnissen und zahlreichen Rückschlägen geprägt. Außerdem gab es immer wieder Todesfälle. 1999 starb der 18-jährige Jesse Gelsinger - er nahm freiwillig an einer Studie teil, bei der seine Lebererkrankung mittels Gentherapie behandelt wurde.
Zwischen 2006 bis 2008 wurden einige Kinder mit einem schweren Immundefekt in München und Hannover mit einer Gentherapie behandelt. Die meisten von Ihnen entwickelten daraufhin eine Leukämie.
Das sind nur zwei von mehreren Fehlschlägen.
Die Folge von diesen Katastrophen: Investoren zogen sich zurück - die Versuche wurden eingestellt.

Still und heimlich

Nun hat sich das Blatt gewendet. Es wurden - ohne viel mediales Aufsehen zu erregen - bereits einige Medikamente zugelassen. Derzeit sind in der EU mehr als 10 Therapien erhältlich.
Unter andrem gegen angeborene Blindheit, einen AADC-Mangels, den erblichen Muskelschwund, die ß-Thalassämie, CAR-T-Zelltherapien gegen aggressive Formen von Blutkrebs usw.

Die Formen der Gentherapie

Prinzipiell wird zwischen der somatischen Gentherapie und Eingriffen in die Keimbahn unterschieden.
Bei der somatischen Gentherapie werden Personen mit meist unheilbaren Erkrankungen mit neuen, genetischen Informationen versorgt. Diese werden nicht weitervererbt. Geht etwas schief, ist nur die behandelte Person betroffen.
Eingriffe in die Keimbahn (Eizellen, Spermien, befruchtete Eizelle) verändern dieses Individuum und werden an die Nachfahren weitervererbt.
Das Risiko solcher Eingriffe ist unermesslich. Daher ist dieses Vorgehen in den meisten Ländern strikt untersagt. Der einzige der Öffentlichkeit bekannte Fall: 2019 wurden der chinesische Biologe He Jiankui und zwei seiner Mitarbeiter zu Haftstrafen verurteilt, weil sie Kinder genetisch manipuliert hatten, um sie vor einer Infektion mit HIV zu schützen.

Der nächste Schritt

Für weltweite Aufmerksamkeit sorgte das Medikament Zolgensma. Es wird seit 2020 bei Neugeborenen mit spinaler Muskelatrophie Typ 1 (SMA) in Form einer einmaligen Infusion eingesetzt. SMA Typ 1 muss sofort nach der Geburt erkannt und behandelt werden. Andernfalls sterben die meisten Kinder innerhalb von Monaten oder müssen ständig beatmet werden.
Ebenfalls in der Kinderheilkunde wird seit kurzem Ubstaza gegen AADC-Mangel eingesetzt. Den erkrankten Kindern fehlt ein Enzym. Es kommt in der Folge zu schwersten Schäden bei der Gehirnentwicklung.
Sie merken bereits: Die Gentherapie bei Kindern wird derzeit bei Erkrankungen eingesetzt, wo es um alles geht.

Auch in der Hämatologie angewendet

Aber auch für schwere Formen der Bluterkrankheit Hämophilie A wurde eine Gentherapie entwickelt. Roctavian wird in die Leber verabreicht und dort von Leberzellen aufgenommen. Die sind daraufhin in der Lage den fehlenden Faktor VIII zu produzieren.
Es wird auch intensiv an einer entsprechenden Behandlung für die Hämophilie B gearbeitet.
Ein weiteres, wichtiges Anwendungsgebiet sind Krebserkrankungen. Auf diesem Gebiet wird derzeit am meisten geforscht.

Probleme mit den "Gentaxis"

Die bisherigen Gentherapien basieren zumeist auf Viren, die mit der notwenigen genetischen Information bestückt werden. Dann binden diese "Vektoren" an die Zielzellen und setzen die fehlenden DNA-Teile frei. Diese "Virus-Taxis" sind für die meisten Nebenwirkungen der Gentherapien verantwortlich, weil sie das Immunsystem aktivieren, die Leber belasten usw.
Es wird derzeit intensiv daran geforscht, neue Strategien zu finden, um die Virustransporter zu ersetzen.

Stehen wir also am Beginn der Epoche der Gentherapien? Und warum wird kaum darüber berichtet? Und sind die exorbitanten Kosten dieser Behandlungen gerechtfertigt?

In der aktuellen Ausgabe des Radiodoktors informieren Sie Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und seine Gäste über die atemberaubenden Möglichkeiten von Gentherapien und über deren Risiken.


Moderation: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger
Sendungsvorbereitung: Dr. Christoph Leprich
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Würden Sie ihr schwerkrankes Kind mit einer Gentherapie behandeln lassen?

Wenn Sie eine Hämophilie hätten, die kaum behandelbar ist - würden Sie das Risiko einer Gentherapie auf sich nehmen?

Halten Sie diese Forschung für eine Risikotechnologie?

Service

Studiogäste im Funkhaus Wien:

Prof.in Dr.in Ingrid Pabinger-Fasching
Fachärztin für Innere Medizin
Stellvertretende Leiterin der Klinischen Abteilung für Hämatologie
Universitätsklinik für Innere Medizin I AKH Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Tel.: +43 (0)1 40400-66170
E-Mail
Homepage

A.p. Prof.in Dr.in Julia Vodopiutz
Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde
Leiterin Ambulanz für klinische Genetik und unklare angeborene Syndrome bei Kindern
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde AKH Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Tel.: +43 (0)1 40400-32320
E-Mail
Homepage

Am Telefon:

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Manfred Ogris
Professor für Pharmazeutische Wissenschaft
Department für Pharmazeutische Wissenschaften Universität Wien
Althanstraße 14
1090 Wien
Tel.: +43-1-4277-55551
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Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Somatische Gentherapie
Upstaza lindert die Folgen eines AADC-Mangels

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