Maljartschuk über Gott und die Ukraine

21. Februar 2023, 06:56

Gott gibt es, oder es gibt ihn nicht. So lese ich in den Gedanken von Blaise Pascal.

Die kleine Sascha weiß schon etwas mehr und kann ziemlich gut argumentieren. Wir verabschieden uns am Silvesterabend am Wiener Hauptbahnhof. Sie und ihre Mutter fahren mit einem direkten Zug nach Kyjiw, um ihren Vater zu begraben. Sascha ist ein schlaues Mädchen und versteht alles. Sie fährt mit, um die Mutter zu unterstützen, den toten Vater will sie dabei nicht sehen. Ihre Eltern hatten einen Deal gemacht: Vater geht an die Front, Mutter kümmert sich um die Tochter. Seit einigen Monaten leben zwei Frauen in Wien.

Es ist ja schön, sage ich am Bahnsteig, dass du, Sascha, nach Kyjiw fährst, am 6. Januar wirst du die ukrainischen Weihnachten bei Oma und Opa feiern können. Das Mädchen widerspricht eifrig: Ich werde kein Weihnachten feiern, weil ich an Gott nicht glaube. Warum denn, frage ich und höre das Konsequente in ihrer Stimme: Weil er seinen Job nicht macht. In der Ukraine bekennen sich nämlich drei Viertel der Bevölkerung zur Kirche. Warum schützt Gott sie nicht?

Das klingt für mich logisch, antworte ich. Die beiden steigen ein und der Zug verlässt langsam den Bahnhof. Erste Feuerwerke begrüßen irgendwo in der Nähe das Neujahr. Zwei Wochen später kommen Sascha und ihre Mutter mit dem gleichen Zug nach Wien zurück. Das Begräbnis war schön, erzählen sie, viele Menschen sind gekommen, wir haben am Abend eine Party organisiert und manche haben sogar getanzt. In den Karpaten lebt ja noch die Tradition, mit den Toten zu tanzen. Wäre er ein schlechter Mensch gewesen, sagt Saschas Mutter, wäre es weniger schade.

Dann schweigt sie und ich auch, weil ich nicht weiß, wie man miteinander nach solchen Erlebnissen kommuniziert. Und doch, wir werden es lernen müssen.

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler

Übersicht

• Ukraine