Daniela Brodesser - Armutszeugnis

26. Februar 2023, 23:00

Wenn sich die dramatische Entwicklung ungebremst fortsetzt - und nichts spricht derzeit dagegen, eher im Gegenteil -, schrammt der Prozentsatz der in Österreich von Armut betroffenen Menschen schon bald an der 20%-Marke. Zurzeit sind es rund 1,7 Millionen Menschen, die in einem der wohlhabendsten Länder der Welt tagtäglich mit erheblichen materiellen und sozialen Benachteiligungen zurecht kommen müssen.

Armut ist folgerichtig - nicht nur in Österreich - ein gravierendes strukturelles Problem. Doch gerade in reichen Staaten wird es oft verdrängt, verharmlost oder sogar politisch missbraucht. Länder und Städte, die sich dafür rühmen, den x-ten Sozialmarkt ermöglicht und eröffnet zu haben, statt sich darum zu kümmern, die Notwendigkeit solcher Einrichtungen - mittels Anhebung der Grundsicherung auf ein armutsfestes Niveau, Rückbau des Niedriglohnsektors und flankierender Förderungen - abzuschaffen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die soziale Orientierung verloren zu haben.

Obwohl es offensichtlich ist, dass die Ungleichheit der Einkommen und die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Mindestlohn und Fixkosten selbst Erwerbstätige bisweilen unausweichlich in finanzielle Notlagen bringt, ist in diesem Zusammenhang noch immer oft von "eigenem Verschulden" oder unglücklichen Einzelfällen die Rede. Und stets reden darüber nur Menschen vom anderen Ende des Einkommensspektrums. Von den hunderttausenden Betroffenen hierzulande melden sich nur die allerwenigsten öffentlich zu Wort, um auf ihre Not und ihre vielen verheerenden Folgen aufmerksam zu machen. Und das nicht nur in Ermangelung medialer Möglichkeiten. Oft fehlt es ihnen in ihrem von Existenzängsten und Überlebenskämpfen geprägten Alltag schlicht an Kraft und Zeit dafür.

"Die Betroffenen schweigen auch aus Scham, Angst und Schuldgefühl", weiß die Autorin Daniela Brodesser, die den Teufelskreis aus Stigmatisierung und sozialer Entfremdung, der mit Armut einhergeht, selbst erlebt hat. Zwei schwere Erkrankungen - ihres Mannes und eines ihrer Kinder - rissen die oberösterreichische Bürokauffrau aus der vermeintlich sicheren Bahn ihres typischen Durchschnittsfamilienlebens. Gefangen in der Armutsspirale ging es unweigerlich abwärts. Jahrelang wurde ihr Leben von Vorurteilen, Beschämungen und - bestenfalls - gut gemeinten Ratschlägen bestimmt. Immer eingeschränkter wurde ihre gesellschaftliche Teilhabe. Ein Leben auf dem Rückzug. 2017 begann Daniela Brodesser schließlich, mit Vorträgen und Kolumnen auf die Situation von Armutsbetroffenen aufmerksam zu machen, um die Öffentlichkeit für dieses gravierende, grassierende Problem zu sensibilisieren und die strukturellen Ursachen von Armut zu bekämpfen. Dieser Tage erscheint im Verlag Kremayr & Scheriau ihr Buch "Armut".

Service

Daniela Brodesser: "Armut", Verlag Kremayr & Scheriau (VÖ 13.3.2023)
Armutprobe - Texte über die Armut

Sendereihe

• Gedanken

Gestaltung

• Peter Blau