Scheinwerfer im Nebel

(c) dpa, Von Erichsen

Medizin und Gesundheit

Mehr Aufmerksamkeit für seltene Erkrankungen

Wenn Ihnen Begriffe wie Ehlers-Danlos-Syndrom, Friedreich-Ataxie oder Leukodystrophie nichts sagen, so sind Sie nicht alleine. Diese zählen zu den sogenannten "Orphan-Diseases". In der Europäischen Union wird eine Erkrankung dann als selten eingestuft, wenn sie weniger als eine Person von 2.000 betrifft. Rund 8.000 solcher seltenen Erkrankungen sind bekannt, europaweit sind 35 Millionen Menschen betroffen.

Viele Krankheiten - eine Gemeinsamkeit

Auch wenn hier völlig unterschiedliche Leiden vorliegen, ist allen gemein, dass es sich um medizinische Waisenkinder handelt. So die wörtliche Übersetzung des Begriffes "Orphan Diseases". Krankheiten, die aufgrund der geringen Fallzahlen, ein Schattendasein führen. Mehr als 70 Prozent der "Orphan Diseases" sind genetisch bedingt und manifestieren sich meist bereits im frühen Kindesalter. Mukoviszidose, Myasthenia gravis, Neurofibromatose oder spinale Muskelatrophie sind nur einige Beispiele für Krankheiten, die eine starke Einschränkung auf die Lebensqualität der Betroffenen und deren Angehörigen bedeuten.

Ein Dach für Alle

Um den 400.000 Personen, die in Österreich an einer seltenen Erkrankung leiden, eine Stimme zu geben, wurde 2011 die Organisation "pro rare Austria" gegründet.
Der Dachverband für Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen für seltene Erkrankungen vertritt mehr als 90 Vereinigungen.
Viele der Organisationen haben das Sesselkreis-Image abgelegt und sich mittlerweile zu kompetenten Patientenvertretungen entwickelt.
Kein leichtes Unterfangen, derart unterschiedliche Krankheitsbilder unter einen Hut zu bringen.

Mehr Bewusstsein bei medizinischen Fachkräften

"Es geht um eine vermehrte Awareness bei den Hausärztinnen und Hausärzten, damit sie an solche Erkrankungen denken und die Betroffenen an ein entsprechendes Zentrum weiterleiten", so die Obfrau Ulrike Holzer.
Denn während etwa eine Glasknochenkrankheit oder schwere Schädigungen der Haut, wie bei den Schmetterlingskindern, nicht zu übersehen sind, finden sich unter den zahlreichen Spielarten auch nicht so offensichtliche Symptome. So kann etwa die Stoffwechselkrankheit Morbus Fabry oder das Wolfram Syndrom auch im Erwachsenenalter sehr unspezifische Beschwerden hervorrufen und so lange Zeit unentdeckt bleiben.

Eine faire Chance

Im Durchschnitt dauert es rund fünf 5 Jahre bis eine Diagnose gestellt wird.
50 Expertise-Zentren sind in Österreich auf solche "rare diseases" spezialisiert. Auch wenn es in vielen Fällen keine ursächliche Therapie gibt, sei es für die Betroffenen wichtig, ihre Diagnose zu kennen, um mit der Krankheit klarzukommen, ist Ulrike Holzer überzeugt. "Die Menschen haben ein Recht, am Leben teilzunehmen. Sie haben auch nichts falsch gemacht, es wurde ihnen einfach in die Wiege gelegt."
Dennoch ist es schwierig, an jene raren Medikamente zu kommen, die bei seltenen Erkrankungen eingesetzt werden. Die Kostenübernahme der, mitunter horrend teuren Substanzen, ist oft mit den Krankenkassen nicht geregelt. Meist mangelt es an entsprechenden Studiendaten, mit ausreichenden Fallzahlen, sodass den Betroffenen eine Behandlung nicht refundiert wird.

9 Länder …

So ist man von "pro rare" auch bemüht, bundesweite Regelungen zu finden, damit Menschen auch aus einem anderen Bundesland in einem spezialisierten Zentrum therapiert werden können. Sie alle haben das Pech, statt Diabetes oder Bluthochdruck eine seltene Krankheit zu haben, deren Therapie als "wirtschaftlich problematisch" betrachtet wird. Viel genauer werde da Seitens der Kassen hingesehen, ob die kostspieligen Behandlungen auch wirklich etwas bringen.

Aufklärung und Chancengleichheit

Auch die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit beobachtet regelmäßig Diskriminierungen im Alltag und eine fehlende Inklusion in Schulen oder Kindergärten. Sie fordert für alle Kinder mit einer chronischen oder seltenen Erkrankung einen Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze, ab dem Krippenalter und die Entfernung von Ausnahmeparagraphen in ganz Österreich.

Ulrike Holzer ist selbst Mutter eines Kindes, das im Säuglingsalter an ektodermaler Dysplasie erkrankt ist. Eine seltene genetische Krankheit, die unter anderem mit einem Mangel an Schweißdrüsen, und damit der Gefahr einer Überhitzung einhergeht. In einer Zeit, in der kein Internet gab, war es Ende des 20. Jahrhunderts noch schwierig, sich zu vernetzen. Mittlerweile ist der Sohn erwachsen - und Ulrike Holzer stolze Großmutter.

Moderation: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger
Sendungsvorbereitung: Dr. Ronny Tekal und Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Sind Sie oder einer Ihrer Angehörigen von einer seltenen Erkrankung betroffen?
Wie lange hat es gedauert, bis sie diagnostiziert wurde?
Fühlen Sie sich gut betreut?
Sind Ihrer Meinung nach Menschen mit Orphan-Diseases im Medizinbetrieb benachteiligt?

Service

Studiogästin:

Ulrike Holzer
Obfrau Pro-rare Austria, Allianz für seltene Erkrankungen
Mutter eines Sohnes mit ektodermaler Dysplasie
Schottenring 14
A-1010 Wien
Tel: +43/664/456 97 37
E-Mail
Homepage


Am Telefon:

Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde
Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde
Leiterin des Österreichischen Neugeborenen-Screenings, am Zentrum für angeborene Stoffwechselerkrankungen Wien
Universitätskinderklinik AKH
Meduni Wien
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Tel: +43/1/40400 3232
E-Mail
Homepage

Evelyn Brezina
Betroffene, an Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit) erkrankt
Verein Osteogenesis Imperfecta Austria
Homepage


Links:

pro-rare Austria - Allianz für seltene Erkrankungen

Eurordis - Rare Disease Europe

Positionspapier der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit zu seltenen Erkrankungen


Expertise-Zentren für seltene Erkrankungen in Österreich (Gesundheitsministerium, 2023)


Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs


Buchtipps:

Evelyn Brezina
Zerbrichmeinnicht und Löwenzahn
Novum Verlag 2008

Paul Just, Christiane Druml
Seltene Erkrankungen: Aspekte aus Ethik & Praxis
Facultas, 2020

Lorenz Grigull
Seltene Erkrankungen und der lange Weg zur Diagnose: 15 persönliche Fallgeschichten
Springer Verlag, 2021

Heide Hoffmann
Ich bin kein Mängelexemplar - mein Leben mit einer seltenen Erkrankung
Lehmanns Media, 2020

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