Egon Erwin Kisch

APA/MUSEUM DER TECHNISCHEN LITERATUR

Gedanken für den Tag

Kisch und die russische Revolution

Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschaftler, zum 75. Todestag von Egon Erwin Kisch

Der Erste Weltkrieg und die Erfahrung sozialer Not haben den Schriftsteller und Journalisten Egon Erwin Kisch zum glühenden Kommunisten gemacht, der seinen Glauben an den sowjetischen Sozialismus auch angesichts des Terrors, des Paktes Stalins mit Hitler und der brutalen Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nicht verlor. Der kakanische Skeptiker starb 1948 vereinsamt in Prag und wurde in einem Ehrengrab als treuer tschechischer Kommunist beigesetzt.

1919 war er der neu entstandenen KPÖ beigetreten, 1925 unternahm er Reisen in das neue Reich des Sozialismus. Wer von diesen Berichten politische Stellungnahmen oder Loblieder auf Stalin erwartet, wird angenehm enttäuscht. Kisch blieb seiner Intention treu, dem Alltag einfacher Menschen zu beschreiben.

Ihn interessieren nicht die ideologischen Debatten und die Bühne der offiziellen Politik. Ihn zieht es an die Peripherie des neuen Staatsgebildes, nach Georgien oder in die Ukraine, speziell in den Donbass, den er als Kornkammer, vor allem aber als Kernland von Industrialisierung und Modernisierung, als das russische Ruhrgebiet beschreibt: "Die Hauptstadt heißt jetzt Artjomowsk... Im Bau: ein steinerner Leninpalast der Arbeit, die Häuser haben unverputzte Ziegelfronten man darf die Städte des Donezbeckens beileibe nicht mit Essen oder Bochum vergleichen."

Die Beschreibung der diversen, nun sozialistischen Fabriken, ergeben ein Bild der Rückständigkeit, einer grauen Tristesse, die durch die Utopie eines "Alles wird schon besser" übermalt ist, weshalb auch die Nutzung von Villen, Klöstern und Schlössern zu "gemeinnützigen Zwecken" ausdrücklich gelobt wird. Artjomowsk, nach dem bolschewistischen Funktionär Artjom benannt, trägt seit 2016 wieder seinen ukrainischen Namen: Bachmut. Kischs Feuilletons aus den 1920er Jahren lesen sich heute wie spannende Reportagen aus einer vergangenen Zukunft, die uns durch Russlands Krieg gegen die Ukraine heimsucht.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Tom Tykwer
Komponist/Komponistin: Johnny Klimek
Gesamttitel: Babylon Berlin Vol.III - Season 4 / Original Fernsehmusik
Titel: Goldstein/instr.
Ausführende: Johnny Klimek & Tom Tykwer
Orchester: Fames Orchestra
Ausführende: Nordic Pulse Ensemble
Leitung: Kristjan Järvi
Länge: 04:31 min
Label: Warner 405053884642 / BMG Rights Management

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