Tabletten

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Medizin und Gesundheit

Sich mit Drogen in Watte packen

Immer mehr Minderjährige betäuben sich mit Opiaten und starken Beruhigungsmitteln

Auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien wird seit dem Winter 2021/22 ein drastischer Anstieg Minderjähriger verzeichnet, die Benzodiazepine konsumieren. Diese Beruhigungsmittel wirken angstlösend, muskelentspannend, schlaffördernd und eben beruhigend. Auffällig dabei ist: Die Betroffenen sind vor allem weiblich und werden immer jünger. Vor ein paar Jahren hat Katrin Skala nur vereinzelt junge Menschen mit einer Benzodiazepin-Abhängigkeit behandelt. Jetzt ist es üblich, dass die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie 14-jährige Patientinnen und Patienten hat, die nach den sogenannten "Downern" süchtig sind. Außerdem steigt in dieser Gruppe auch der Opiat-Missbrauch an.

Versuch der Selbstbehandlung

Diese jungen Menschen berichten über die vermehrten Belastungen während der Pandemie. Die tagesstrukturierenden Abläufe sind weggefallen, sie durften ihre Freunde nicht treffen, viele wurden depressiv. Die Lage derjenigen, die schon davor unter psychischen Problemen litten, hatte sich weiter verschlechtert. Um all das auszuhalten, begannen einige sich mit "Benzos" zu dämpfen, sie wollten nichts mehr spüren müssen. Ob dieser eindeutig zeitliche Zusammenhang mit diversen Lockdown-Maßnahmen auch kausal ist, also ob das eine das andere bedingt, möchte eine Studie des AKH Wien klären. Ab Mai werden junge Patientinnen und Patienten nach ihren Beweggründen für den Drogenkonsum befragt.

Unterschätzte Gefahr Benzodiazepine

Auch die Ergebnisse des Epidemiologie-Berichts Sucht 2022 zeigen eine bedenkliche Entwicklung. Bei den Drogentoten hat der Anteil junger Menschen unter 25 Jahren zugenommen, vor allem an Frauen. Bei 89 Prozent der Betroffenen, die an einer Suchtmittel-Vergiftung gestorben sind, wurden auch Benzodiazepine im Blut gefunden. Diese starken Angst- und Beruhigungsmittel machen sehr schnell süchtig. Der Gewöhnungseffekt tritt rasch ein, daher muss die Dosis zunehmend gesteigert werden. Das Problem: Es dürfte sehr einfach sein, an diese eigentlich verschreibungspflichtigen Medikamente heranzukommen. Über Kommunikationskanäle wie Telegram oder Snapchat kann eine Tablette für wenige Euros erworben werden. "Benzos" sind keine aufputschenden Drogen wie Ecstasy und Speed. Sie wirken sedierend und können daher bei einer Überdosierung zu einem Atemstillstand führen. Meist findet auch ein Mischkonsum mit beispielsweise Alkohol statt. Diese Kombination birgt die Gefahr eines Herz-Kreislauf-System-Kollaps. Die Wechselwirkungen können bis zum Tod führen.

Fehlendes Korrektiv

Durch den Konsum in den eigenen vier Wänden während der Lockdowns ist das soziale Korrektiv weggebrochen. In der Gruppe wird meistens aufeinander aufgepasst. Man rät seinen Freunden, von dieser oder jener Substanz die Finger zu lassen, erklärt Christian Müller. Er arbeitet an der Ambulanz für Abhängigkeitserkrankungen im Jugendalter der SDB Eisenstadt. Außerdem haben auch die Pädagoginnen und Pädagogen diese Entwicklungen kaum bemerkt, da die Kinder und Jugendlichen weniger greifbar waren.

Präventives Angebot für Kinder aus suchtbelasteten Familien

Daher ist es wichtig, möglichst früh präventiv anzusetzen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt "Kleiner Leuchtturm" vom Verein Dialog, unter der Leitung von Nadja Springer. Die Klinische- und Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin arbeitet mit Kindern aus suchtbelasteten Familien. Es geht darum, sich auszutauschen sowie Ängste und Loyalitätskonflikte zu reflektieren.

Moderation: Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA.
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Hat Ihr Kind Erfahrungen mit Drogen gemacht? Wie sind Sie damit umgegangen?

Hat Ihr Kind eine Sucht entwickelt?

Wie konnte ihm geholfen werden? Wie geht es Ihrem Kind heute?

Service

Zu Gast im Ö1 Haus:

Assoc. Prof.in Priv.-Dozin Dr.in Katrin Skala
Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Leiterin der Arbeitsgruppe substanzgebundene und nicht substanzgebundene Störungen des Kindes- u. Jugendalters der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (ÖGKJP)
Leiterin der Station 5A und 5B der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Tel.: +43 (0)1 40400-30120
E-Mail
Homepage

Mag.a Nadja Springer
Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin
Leiterin Lehrgang "Suchtberatung und Prävention" der FH St. Pölten
Verein Dialog, Standort Suchtprävention und Früherkennung
Tel.: +43 1 205 552 500
E-Mail
Homepage

Dr. Christian Müller
Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie
Ambulanz für Abhängigkeitserkrankungen im Jugendalter ("AmbA") am Ambulatorium für Kinder- u. Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Soziale Dienste Burgenland SDB Eisenstadt
Tel.: +43 650 560 0402
E-Mail
Homepage

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Projekt "Kleiner Leuchtturm" Verein Dialog
Check-it! Kompetenzzentrum für Freizeitdrogen
Sucht- und Drogenkoordination Wien
Gesundheit.gv.at: Abhängigkeit/Sucht: Beratung und Hilfe
Logo Jugendmanagement: Informationen und Beratungsstellen zum Thema Sucht & Abhängigkeit in der Steiermark
WienXtra Jugendinfo: Drogen und Sucht
InfoEck Land Tirol: Sucht und Drogen Info und Anlaufstellen
Akzente Jugendinfo Salzburg: Drogen & andere Süchte (Infos und Anlaufstellen)
Vivid Fachstelle für Suchtprävention
Pro Mente Sucht- und Drogenarbeit Oberösterreich
Stationärer Entzug für Kinder und Jugendliche im Anton Proksch Institut
Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie: Übersicht Kinder- und Jugendpsychiatrie Abteilungen Österreich
Stationäre Suchthilfe-Einrichtungen Österreich

Sendereihe