Sarah Kirsch geht aus dem Fenster

2. Mai 2023, 06:57

Sie hat Säle mit ihren Lyrik-Lesungen gefüllt, doch den Betriebsrummel hat sie nicht geschätzt: Die letzten dreißig Lebensjahre hat, die am 5. Mai 2013 verstorbene Dichterin Sarah Kirsch in Schleswig-Holstein verbracht, in einem alten Schulhaus in Tielenhemme an der Eider.

Als Ingrid Bernstein ist Sarah Kirsch am 16. April 1935 im Südharz geboren worden. Sie hat den Nationalsozialismus erlebt, dann die DDR. Die Bibliothek der Eltern hat Lesestoff geschenkt. Sie hat Adalbert Stifter gelesen, von der Mutter die Pflanzenwelt kennengelernt, in Halle an der Saale Biologie studiert und mit einer Arbeit über Parasiten von Mäusen abgeschlossen. Vom Lyriker Rainer Kirsch hat sie bei der Heirat den Nachnamen erhalten, den Vornamen Sarah hat sie sich selbst gegeben. Prägend war die Möglichkeit - von 1963 bis 1965 - am Leipziger Literaturinstitut schreiben zu lernen.

"Das war großartig", hat sie Jahrzehnte später in einem Gespräch mit der deutschen Literaturkritikerin Iris Radisch geschwärmt. "Die vielen verbotenen Bücher, die wir dort lesen durften! Camus' Sisyphos, das war das Größte von der Welt. In der DDR ging es ja immer so: Die Geschichte geht in Zickzackbewegungen, und bei Zack heißt es Kopf einziehen. Und nach dem elften Plenum war ziemlich viel Zack. Leute flogen aus der Schule, bekamen keinen Abschluss."

Noch mehr "Zack" hat es gegeben, als 1976 Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert worden ist. Sarah Kirsch hat den Protest dagegen unterschrieben, ist aus dem Vorstand des Schriftstellerverbandes ausgeschlossen worden und hat 1977 mit ihrem Sohn die DDR verlassen.

Wie hat sie in ihrem vieldeutigen Gedicht "Trennung" - erschienen 1979 im Band "Drachensteigen"- geschrieben?

"Wenn ich in einem Haus bin, das keine Tür hat / Geh ich aus dem Fenster".

Service

Iris Radisch, "Die letzten Dinge", Rowohlt Verlag
Sarah Kirsch, "Drachensteigen", Verlag Langewiesche-Brandt

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler