Sarah Kirsch schreibt den Königen

5. Mai 2023, 06:57

Gedichte von Sarah Kirsch könnten auf den ersten Blick für harmlose Naturlyrik gehalten werden. Auf den zweiten Blick zeigen sie sich oft als politisch. Allerdings nicht im Sinn einer direkten Botschaft.

"Wenn man so etwas vermitteln will, soll man lieber einen Zeitungsartikel schreiben, wo man alles sehr knapp, klar und deutlich sagen kann." Das hat die Lyrikerin 1978 zu Schülerinnen und Schülern in Westberlin gesagt. Politisch meine sie vielmehr in einem sehr weiten Sinn, "indem ich eigentlich nur will, dass das Lebensgefühl einer bestimmten Zeit sich in diesen Gedichten widerspiegelt."

Dieses Gespräch, das im Band "Erklärung einiger Dinge" überliefert ist, ist aus vielen Gründen lesenswert: Sarah Kirsch hat kurz zuvor, 1977, die DDR verlassen. Die Schülerinnen und Schüler stellen spannende Fragen zu Verständlichkeit und Interpretation, und Kirsch erklärt am Beispiel eines Gedichtes, wie sogar noch mehr als das ursprünglich von ihr Gemeinte in einem Text liegen kann.

Sie liest es vor:
Dieser Abend, Bettina, es ist
Alles beim alten. Immer
Sind wir allein, wenn wir den Königen schreiben
Denen des Herzens und jenen
Des Staats. Und noch
Erschrickt unser Herz
Wenn auf der anderen Seite des Hauses
Ein Wagen zu hören ist.

Diesen Wagen las man im Westen als Stasi-Auto. Sie selbst, sagt Sarah Kirsch den Schülerinnen und Schülern, hätte beim Schreiben ursprünglich nicht daran gedacht, aber dann sei eine Situation eingetreten, "wo ich auch in der Art und Weise auf ein Auto gehört hab, und es auch so ein Auto gab".

Ja, so Sarah Kirsch: "Gedichte verwandeln sich manchmal."

Service

Sarah Kirsch, "Erklärung einiger Dinge. Dokumente und Bilder.", Verlag Langewiesche-Brandt

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler