Rote Farbe auf weissem Untergrund mit Rissen.

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Radiokolleg

Die Risse in unserer Gesellschaft (2)

Die bleibenden Schäden der Pandemie

Die Pandemie ist - gefühlt - vorbei. Keine Rede mehr von persönlichen Einschränkungen und Lockdowns, keine Demos mehr gegen die vermeintliche "Corona-Diktatur". Heißt das, der Zustand unserer Gesellschaft ist wieder so wie er vorher war? Eher nicht. Die Pandemie hat Gräben aufgerissen, die man nicht so einfach wieder zuschütten kann.

Der Politikwissenschafter Ivan Krastev hat während der Pandemie politische Polarisierungstendenzen in mehreren europäischen Ländern untersucht und festgestellt, dass vor allem bei jenen Bevölkerungsgruppen, die ökonomisch stark von den Corona-Maßnahmen getroffen wurden, ein tiefes Misstrauen gegen die Politik entstanden ist. Für noch besorgniserregender hält er eine mögliche Spaltung zwischen den Generationen. Denn gerade auf die Bedürfnisse der Jungen habe die Politik besonders wenig Rücksicht genommen.

Und außerdem: die nächsten Krisen sind längst da. Mein persönlicher "Lieblingsverschwörungstheoretiker", wie ich meinen alten Bekannten Arthur gerne nenne, postet nur noch gelegentlich etwas über die "Impfdiktatur" auf Facebook, dafür sehr viel zum Ukraine-Krieg, den gestiegenen Energiekosten und der Klimapolitik. Seine Skepsis gegen Politik, Medien und Experten lässt sich nicht so einfach auflösen. Die Pandemie hat nur eine Entwicklung beschleunigt, die bereits Jahre davor ihren Anfang genommen hat.

In ihrem Buch "Gekränkte Freiheit" haben Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger Menschen wie Arthur beschrieben. Sie sprechen von einer neuen Strömung, dem "libertären Autoritarismus". Hier steht das "Ich" im Zentrum, die individuelle Freiheit darf auf gar keinen Fall eingeschränkt werden, auch dann nicht, wenn sie auf Kosten anderer geht. Manche der libertär Autoritären kommen ursprünglich aus einem rechtskonservativen Spektrum, andere aus einem grün-alternativen Umfeld. Was sie vereint, ist eine große Distanz zum Staat und seinen Institutionen. Wie gefährlich ist das eigentlich für unsere Demokratie?

Service

Radiokolleg-Podcast

Oliver Nachtwey & Carolin Amlinger: Gekränkte Freiheit. Aspekte des Libertären Autoritarismus, Suhrkamp
Julia Ebner: Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt, Suhrkamp
Steven Levitsky & Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können, Deutsche Verlags-Anstalt
Mia Bloom & Sophia Moskalenko: Pastels and Pedophiles. Inside the Mind of QAnon, Stanford University Press
Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, edition suhrkamp (erscheint im Oktober 2023)

Reinhard Heinisch
integral: Was sind Sinus-Milieus?
Petter Tornberg: How digital media drive affective polarization through partisan sorting
Bruno Kreisky Institut: Oliver Nachtwey im Gespräch mit Robert Misik

Sendereihe

Gestaltung