Konrad Paul Liessmann

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Gedanken für den Tag

Casanovas Memoiren

Konrad Paul Liessmann, Philosoph, zum 200. Todestag von Arnold Brockhaus

Im kollektiven Gedächtnis ist der Name Brockhaus untrennbar mit gediegenem lexikalischem Wissen verbunden. Das ist nicht ganz fair, denn Friedrich Arnold Brockhaus sammelte auch darüber hinaus große Verdienste. So verdanken wir ihm die Kenntnis eines der umstrittensten erotischen Werke der Weltliteratur: der Memoiren des venezianischen Frauenhelden Giacomo Casanova. Wie das?

Casanova war im Jahre 1798 auf dem böhmischen Schloss Dux, wo er seine Erinnerungen niedergeschrieben hatte, verstorben. Das in französischer Sprache verfasste Manuskript gelangte in die Hände einer entfernten Verwandten, die es Friedrich Arnold Brockhaus anbot. Brockhaus ließ die pikante und frivole Autobiographie des italienischen Lebemannes von Freunden prüfen, unter anderem vom Romantiker und Shakespeare-Übersetzer Ludwig Tieck, und dieser urteilte: "Der Mensch ist ganz verrucht, aber sein Leben, und die Art es darzustellen, höchst anziehend." Brockhaus kaufte das etwa 1800 Doppelseiten umfassende Konvolut für 200 Taler - auch für damalige Verhältnisse ein lächerlich geringer Betrag.

Brockhaus ließ sofort eine gekürzte und entschärfte deutsche Übersetzung anfertigen. Die Empörung war groß, und nicht zum ersten Mal hatte der Verlag mit der Zensur zu tun. Aber auch bei Freunden sorgte dieses Projekt für Aufregung. Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen und selbst eine erfolgreiche Schriftstellerin, weigerte sich, die schlüpfrigen Memoiren zu lesen oder gar eine Rezension dazu zu verfassen, wie Brockhaus es sich gewünscht hatte.

Das Manuskript verblieb lange im Besitz des Verlagshauses Brockhaus, es überstand, sicher in einem Tresor gelagert, die Wirren der Weltkriege. Erst im Jahre 2010 wurde es für sieben Millionen Euro von der Französischen Nationalbibliothek erworben. Dank seiner Neugier, seiner Offenheit und seines verlegerischen Muts ist Friedrich Arnold Brockhaus so bis ins 21. Jahrhundert der europäischen Kultur- und Sittengeschichte verbunden.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jean-Pierre Moulin
Album: Paroles de Swing
Titel: Le danseur de Charleston/instr.
Solist/Solistin: Angelo Debarre
Solist/Solistin: Ludovic Beier
Ausführender/Ausführende: Antonio Licusati
Ausführender/Ausführende: Tchavolo Hassan
Ausführender/Ausführende: Marius Apostol
Länge: 02:51 min
Label: Le Chant du Monde/Harmonia Mundi CDM123 / City Record

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