Freitaucher bei der Arbeit, der Suche nach Mondmuscheln

SARAH ZAUNER

Vom Leben der Natur

Vom Verschwinden der Seegraswiesen (3)

Die Lungen der Meere.
Sarah Zauner ist mikrobielle Ökologin und Forschungstaucherin. Sie spricht über Seegraswiesen.
Teil 3: Relevante CO2-Speicher

Für Tourist:innen kann es ein Ärgernis sein, für die Biodiversität ist es unverzichtbar: Seegras. Diese Blütenpflanzen-Arten leben untergetaucht ("submers") in einer Wassertiefe bis zu 15 Metern im Meereswasser. Überall mit Ausnahme der Antarktis ist Seegras heimisch und weltweit gibt es etwa 16 Arten. Seegras kann bis zu einigen hundert Jahren alt werden und wächst bestandsbildend in sogenannten "Seegraswiesen".

Seegraswiesen sind ökologisch besonders wertvoll, da sie wichtige Lebensräume für zahlreiche Tierarten sind. Sie bieten Kleintieren wie Würmern, Krebsen und Muscheln Schutz und Nahrung, sind Laichplätze zahlreicher Fischarten, weshalb sie auch als "Kinderstuben" bezeichnet werden. Faszinierende jahrtausendealte symbiotische Beziehungen gehen Seegräser zum Beispiel mit Mondmuscheln ein, die wiederum in Symbiose mit Schwefelbakterien leben. Denn Mondmuscheln brauchen zum Überleben eine bestimmte Bakterienart, von der sie sich ernähren. Die Bakterien wiederum lukrieren Energie aus teilweise giftigen Substanzen wie Schwefelwasserstoff. Die Muscheln können daher in Lebensräumen siedeln, die für die meisten Lebewesen feindlich oder giftig wären und sind selbst wiederum Nahrung insbesondere für Millionen von Zugvögeln.

Seegraswiesen spielen eine zentrale Rolle im Ökosystem Meer: Sie schützen die Küsten und halten das Wasser sauber. Von unschätzbarer Bedeutung ist auch, dass sie das Sediment am Meeresboden festigen und Sauerstoff ins Wasser abgeben. Die Wiesen schaffen zudem besondere Lebensbedingungen, indem sie die Wasserströmungen um bis zu 40 Prozent reduzieren können.

Ihre Vitalität und Produktivität ist eindrucksvoll. So ist das "Große Seegras" zum Beispiel eine von zwei in der Ostsee verbreiteten Seegrasarten. Bis zu 1000 Sprosse wachsen auf nur einem Quadratmeter. So entstehen - je nach Art - "rauschende Wälder unter Wasser". In der Wachstumsphase können Seegraswiesen eine Biomasse von bis zu fünf Kilogramm pro Quadratmeter erreichen und etwa zwei Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter und Tag binden. Auf Grund der Fähigkeit, große Mengen an Kohlendioxid zu speichern, nennt man sie auch die "Lungen der Meere".

Dieses Potenzial von Seegraswiesen als bedeutende CO?-Senker wurde bislang unterschätzt. Je nach Standort haben die Meereswiesen eine 30- bis 50-mal höhere CO?-Senkungsrate als Wälder an Land. Je nach Art speichert nach Angaben der "Deutschen Stiftung Meeresschutz" eine ein Hektar große Seegraswiese dieselbe Menge Kohlendioxid wie zehn Hektar Wald und das auch noch 35-mal schneller. Schätzungen sprechen sogar davon, dass Seegraswiesen weltweit bis zu 15 Prozent des vom Ozean aufgenommenen Klimagases binden.

Dennoch sind diese schützenswerten vielfältig strukturierten Lebensräume stark gefährdet. Die Klimaerwärmung und damit die Vermehrung von Algen, intensiver Tourismus aber auch übermäßige Nährstoffeinträge vor allem aus der Landwirtschaft haben die Bestände dramatisch reduziert. Dabei weiß man eigentlich gar nicht genau, wie groß die Seegrasbestände weltweit sind. Schätzungsweise bedecken sie nur etwa 0,2 Prozent des Meeresbodens und die Angaben schwanken zwischen 160.387 und 266.562 Quadratkilometern.
"Die Seegraswiesen, diese sogenannten Lungen der Meere, gilt es weiter zu erforschen. Sie sind ebenso schützenswert wie Korallenriffe und für mich einfach faszinierend", sagt Sarah Zauner, Doktorandin am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. Für ihre Arbeit über die weltweit bedrohten Seegraswiesen und die faszinierende Symbiose von Mondmuscheln, Seegras und Bakterien wurde sie von einer internationalen Jury 2020 im Rahmen der Forschungspreise "Haus des Meeres" mit dem Prof. Dr. Hans und Lotte Hass-Preis ausgezeichnet.

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GESPRÄCHSPARTNERIN:
Sarah Zauner MSc.
Universität Wien
Zentrum für Mikrobiologie und Umweltwissenschaft
Division of Microbial Ecology (DOME)

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