Engagierte Dichtung

21. September 2023, 06:57

"Und eines Morgens stand alles in Flammen" - 1936 befindet sich der chilenische Dichter Pablo Neruda beim Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs in Madrid. Wie so viele andere Künstlerinnen und Künstler der Zeit stellt diese Erfahrung seine Vorstellungen von Literatur radikal infrage: "Ihr wolltet fragen, warum seine Dichtung / uns nicht mehr vom Traum, von den Blättern, / von den großen Vulkanen seiner Heimat spricht?", schreibt Neruda mit Blick auf sein eigenes, surrealistisch geprägtes Frühwerk, das von dieser neuen Wirklichkeit des Krieges schier überrollt zu werden scheint. "Kommt und seht das Blut auf den Straßen!", wiederholt das Gedicht gleich dreimal als Antwort.

Im Krieg stirbt die Wahrheit bekanntlich zuerst. Im Angesicht der Extreme schwindet der Wille zur Differenzierung auch bei Neruda, politisch wie ästhetisch: Er wird endgültig zum Propagandisten der Kommunistischen Partei, für den Anarchisten und Trotzkisten Verräter sind, ehe wenig später seine lyrischen Loblieder auf Stalin folgen. Deren literarische Qualität ist, wenig überraschend, mäßig, was den zu jener Zeit durch die sowjetische Weltsphäre tourenden kommunistischen Salonlöwen aus Chile aber zunächst nicht anficht. Erst sehr viel später wird er seine Fehler einsehen.

Zur Wahrheit über den engagierten Dichter Neruda gehört jedoch auch, dass er es in seiner Hinwendung zur grausamen Wirklichkeit nicht bei hohlen Versen belässt. Im August 1939 evakuiert er mit einem von ihm selbst gecharterten Frachter, 2500 in Frankreich internierte Spanienkämpfer, nach Chile. "Die Kritik mag, wenn sie Lust hat, meine ganze Dichtung verwerfen", wird er später über diese Episode schreiben, "aber dieses Gedicht wird niemand tilgen können".

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler