Zwischenruf

Kinder stärken

von Martin Schenk, stellvertretender Direktor und Sozialexperte der Diakonie Österreich

"Arm dran" und "Arm drauf". Das sagen Kinder, wenn man sie fragt, was für sie Armut ist. "Arm dran" meint Armut auf der materiellen Ebene, auf der Ebene des Habens und Besitzens. "Arm drauf" meint Armut auf der Ebene des Seins und des Gefühls.

Die Forschung hat das in Gesprächen mit Kindern herausgefunden. Kinder unterscheiden also zwischen der Lebenslage materiellen Mangels und sozialer Einengung. Beim einen geht's ums Geld, um Einkommen, leistbares Wohnen, Lebensmittel; beim anderen um Anerkennung, Freundschaften, Gemeinschaft oder Vertrauen. Materielle und sozial-emotionale Lebenslage hängen für Kinder zusammen. Beides wird zu einer Einheit zusammengefügt, wie beispielsweise in der Kinderaussage "Armut ist kein Geld und keine Familie" zum Ausdruck kommt. Entsprechend heißt Armut für Kinder: "Mutterseelenallein sein", "Ausgeliefert sein", "Anders sein" und "Verletzbar sein". Das Kind soll "in der Lage sein, sich sowohl in materieller wie in geistiger Hinsicht (.) zu entwickeln", so hat das die Genfer Erklärung vor 99 Jahren ähnlich formuliert, die erste internationale Erklärung zu Kinderrechten.

Fragt man Kinder, ob sie arme Kinder kennen, so zeigen ihre Antworten: Arm sind immer die anderen. Kinder sehen Armut weit weg von sich selbst. Kinder wollen nicht arm sein. Das ist auch mehr als verständlich. Wir alle wünschen uns ausreichende Handlungsspielräume - damit wir aus unterschiedlichen Möglichkeiten selbstbestimmt wählen können. Nur wenn wir diese Spielräume haben, können wir uns beispielsweise die Freiheit nehmen zu verzichten.

Es gibt die freiwillig gewählte Armut wie sie zum Beispiel von Mönchen oder Asketen praktiziert wird. Freiwillig gewählte Armut braucht aber einen Status, der den Verzicht zur Entscheidung erhebt. Armut ist keine Frage des Verzichts. Armut ist Hungern, nicht Fasten. Den Unterschied zwischen Hungern und Fasten macht die Freiheit. "Es ist ein Unterschied, ob man sich aus verschiedenen Gründen dafür entscheidet, gewisse Dinge nicht zu kaufen, wenn man weiß, man könnte es, oder etwas nicht kauft, weil man es nicht kann", erzählt mir Maria, die mit ihren zwei Kindern eine Zeit lang unter der Armutsgrenze leben musste.

Armut bewirkt eine Einengung bis hin zur dramatischen Situation, wo es kaum mehr Handlungsraum gibt, wo man aussichtslos in der Not gefangen ist. Maria weiß, wie sich das anfühlt: "Ich hab mich voll geniert, wir haben uns total zurückgezogen". Maria und ihre Kinder verschwanden in dieser "beengten Welt", sie rangen um den Gestaltungsraum, den sie zum Überleben brauchen. Jetzt geht es ihr und ihren zwei Kindern wieder besser, rückblickend sagt sie: "Am schlimmsten ist, dass einem die Kraft ausgeht. Hilfreich waren damals alle jene, die uns stärkten".

Kinder sind unsere Zukunft, heißt es allerorts und gerne. Ich glaube das aber erst, wenn es genug Ressourcen gibt, Kinderarmut zu bekämpfen, die Lücken in der psychosozialen Versorgung zu schließen und gute Schulen für alle zu ermöglichen. Kinder stärken. Damit sie nicht weiter "Arm drauf" sein müssen - und schon gar nicht mehr "Arm dran".

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Joseph Haydn
Titel: Sonate für Klavier Nr.47 in h-moll Hob.XVI/32
* Menuet. Tempo di menuet - 2.Satz (00:04:01)
Solist/Solistin: Alfred Brendel /Klavier
Länge: 04:00 min
Label: Philips 4122282

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