Annulliertes, Verbotenes, Uraufgeführtes

3. Oktober 2023, 19:30

Bruckners d-Moll Symphonie

Im November erscheint eine neue Biografie des 1824 im oberösterreichischen Ansfelden Geborenen. Der Autor, der in Luzern lehrende Felix Diergarten, hat für das Brucknerjahr 2024 "einen großen Wunsch: dass der Name `Bruckners Nullte Symphonie` endgültig aus der Welt verschwindet. Der Name ist schädlich, suggeriert er doch eine falsche Chronologie." Diese Symphonie ist nach Bruckners 1. Symphonie entstanden und wurde von Bruckner zunächst als 2. Symphonie bezeichnet, die danach folgende - heute als Nr. 2 geführte - als Nr. 3. Zudem sei der Name "dem Ruf des Werks schädlich." Woher dann der Name? Anton Bruckner zog seine 1869 entstandene d-Moll Symphonie im Jahr 1871 zurück und versah sie mit der durchgestrichenen Null (?), einem im Bibliothekswesen üblichen Tilgungszeichen. An mehreren Stellen dieser ersten d-Moll-Symphonie schrieb er: "Diese Sinfonie ist ganz ungiltig. (Nur ein Versuch)", " ganz nichtig" oder "anulirte 2. Sinf." Felix Diergarten erläutert in der Sendung die Gründe für diese Entscheidung Bruckners. Lag sie an der Qualität des Werks? Diergarten und Dennis Russell Davies (und andere Dirigenten) verneinen entschieden.


Noch ein fast annulliertes Werk

Dennis Russell Davies stellte der d-Moll Symphonie das Concert Românesc gegenüber, ein Frühwerk György Ligetis, das noch dem folkloristischen "Bartók-Stil" verpflichtet ist. 1949/50 studierte der 1923 in Siebenbürgen geborene Ligeti am Folklore-Institut in Bukarest. Das viersätzige Werk basiert auf einer Vielzahl rumänischer Volksmelodien, die Ligeti aufzeichnete, "doch stammen sie überwiegend von Wachsrollen und Schallplatten aus dem Bukarester Folklore-Institut." Ligeti hat es später als "eines der 'Camouflage-Stücke'" bezeichnet, "als Ausweiche vor der 'Sozrel'-Diktatur den allumfassenden Repressalien des kommunistischen Regimes, die auch die klassische Musik betrafen. Obwohl einigermaßen konform, entpuppte sich das Stück als 'politically incorrect'. Grund waren verbotene Dissonanzen. Für den heutigen Hörer ist es kaum nachvollziehbar, dass solche milden tonalen Scherze als staatsgefährdend deklariert wurden." Das Concert Românesc spiegle seine "tiefe Liebe zur rumänischen Volksmusik und zur rumänischsprachigen Kultur schlechthin wider." Das Werk wurde verboten und erst 1971 uraufgeführt.


Entspannte Tote

Dennis Russell Davies hat Kurt Schwertsik in den 1980er Jahren kennen- und schätzen gelernt. Seine Musik sei die "eines Wieners; witzig, skurril und ernsthaft zugleich." Besonders schätze er Schwertsiks Großherzigkeit, Humor und Klugheit. Davies hat zahlreiche Werke Schwertsiks uraufgeführt, auch oft im Konzert und in Operhäusern dirigiert. Im März leitete er im Leipziger Gewandhaus als Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters die Uraufführung von Schwertsiks "Muertes en Relajo" - für den Komponisten sind das "entspannte Tote". Den Titel für dieses "Divertimento" fand er in Frida Kahlos Tagebuch. Mit Leben und Werk der 1954 verstorbenen mexikanischen Malerin hat sich Schwertsik schon 1992 auseinandergesetzt, als er Musik für eine Choreografie Johann Kresniks am Bremer Theater komponierte.

Service

Felix Diergarten, "Anton Bruckner - Ein Leben mit Musik", Bärenreiter-Verlag
Musikzeit - Besprechung von Kurt Schwertsiks Buch "Was und wie lernt man?"

Sendereihe

• Das Ö1 Konzert

Gestaltung

• Peter Kislinger