Von Reisenden und Winternächten

9. Oktober 2023, 06:57

Es gibt Autoren und Autorinnen, die uns zu überraschen vermögen. Italo Calvino, Jahrgang 1923, ein italienischer Klassiker der Moderne gehört zu ihnen, ein literarischer Zauberer, der weiß, dass dem Anfang ein Zauber innewohnt.

"Wenn ein Reisender in einer Winternacht". Was ist das nur für ein unvollständiger Satz für einen Romantitel! Ohne Verb und ganz unverständlich! Und dann der erste Satz: "Du schickst Dich an, den neuen Roman ,Wenn ein Reisender in einer Winternacht' von Italo Calvino zu lesen." Sehr bald gesellt sich zum Leser die Leserin. Gemeinsam beginnen sich die beiden über die Mühen dieses merkwürdigen Buches zu verständigen, die es beim Lesen bereitet. Ein Labyrinth literarischer Bruchstücke, entstanden durch Fehldruck, Falschexemplare, Druckfehler und Fälschungen. Romanen aus inexistenten Ländern mit schrägen Titeln. Plötzlich befinden wir uns mit Ludmilla und den Erzähler vor "dem Weichbild von Malbork" oder in "Schaut in die Tiefe, wo sich das Dunkel verdichtet". Literatur ist eine buchstäbliche Verführung. Für das Lesepaar im Buch und für uns und all die anderen, die es noch lesen werden.

Immerhin lernt das Paar lesen. Die beiden wenden sich schließlich der Lektüre ihrer Körper zu, die sich von der eines Buches dadurch unterscheidet, dass sie nicht linear erfolgt, sondern an beliebigen Stellen mittels Tast-, Gesichts-, Geruchssinn vor- und zurückspringt. So kommt zwar kein Roman im Buch zu einem Ende, wohl aber die Geschichte von Ludmilla und dem Erzähler." Ludmilla klappt das Buch zu, macht ihr Licht aus, legt ihren Kopf auf das Kissen, sagt: "Mach du auch aus. Bist du nicht lesemüde?"

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler