Italo Calvino

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Gedanken für den Tag

Ein Baron, der auf Bäume steigt

Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschafter, zum 100. Geburtstag von Italo Calvino

Was hat ein italienischer Baron auf den Bäumen zu suchen? Wenn man dem unzuverlässigen Erzähler in Calvinos Roman aus dem Jahre 1957 Glauben schenken soll, dann ist er vor seiner Familie geflüchtet. Erzählt wird das von seinem kleineren Bruder. Um die Unmöglichkeit voll zu machen, lebt dieser Erzähler im 18. Jahrhundert. Denn als sich der junge Baron vom Esstisch verabschiedet und sich weigert, Schnecken zu essen, schreibt man den 15. Juni 1767.

Das Leben auf den Bäumen ist ein Kinder- und Bubentraum, eine Art luftiges Exil für jene, die dem Leben auf dem harten Boden der Tatsachen, einer engen und fixierten Welt mit einem raffinierten System von Einschränkungen entkommen wollen. Die Beschwerlichkeit des Lebens auf den Bäumen wiederum wird zur Herausforderung, zur Probe der Geschicklichkeit und der Erfindungsgabe. Die eigentliche Kunst besteht in der Fähigkeit, nie wieder auf die Erde zurückzukehren, sondern wie ein Akrobat oder ein Affe von Baum zu Baum zu springen. Beweglichkeit als Protest gegen eine starre Existenz, ohne auf ein gutes Leben, kluge Gespräche, delikates Essen, Liebe und Erotik verzichten zu müssen. Natürlich erlebt der romantische Rebell auf den Bäumen noch Napoleon und die Montgolfiere.

Calvinos Baron auf den Bäumen ist vielleicht sein romantischstes Buch. Es huldigt der Fantasie, der Ironie und - noch besser - der feinen Selbstironie.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Peter Warlock 1894 - 1930
Titel: Capriol Suite - für Cembalo und Orchester
* Basse danse - 1.Satz (00:01:36)
Orchester: Academy of St.Martin in the Fields
Ausführender/Ausführende: Nicholas Kraemer
Leitung: Sir Neville Marriner
Länge: 01:36 min
Label: London 421391-2

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