Erste Hörerin

21. Oktober 2023, 06:57

Die erste Leserin der Erzählung, die ich in diesem Frühjahr veröffentlicht habe, war meine Tochter. Genau gesagt war sie die erste Zuhörerin, denn ich schrieb diese Geschichte über eine Schlafwagenschaffnerin, als ich mit ihr schwanger war.

Und meine Texte entstehen im und durch Vorlesen. Indem ich einen werdenden Text immer wieder laut lese, lasse ich mich ganz auf Rhythmus und Klang der Sprache ein. Alles, was ich gesammelt und recherchiert habe, Konzeption und Material, treten dann in den Hintergrund, um dem Fluss der Sätze den Vortritt zu lassen, der mit eigener Kraft den Lauf der entstehenden Geschichte vorantreibt.

Einsam bin ich dabei nicht. Ganz im Gegenteil. Zum einen ist da die Anwesenheit der Figuren, über die ich zu schreiben versuche. Ihnen genau zuzuhören erfordert sehr viel Konzentration. Zum anderen sind da die Menschen, die eines Tages Leserinnen und Leser werden könnten. Wenige, von denen ich sicher weiß, dass sie das sein werden, weil sie mir zuliebe lesen, was ich schreibe. Und dann solche, die ich nie kennenlerne, die aber durch irgendeinen Zufall auf eine meiner Geschichten stoßen. Sie alle denke ich mir als Zuhörer:innen.

Die Vorstellung des fertigen Buches ist dann auch weniger ein festes Ding, das man ins Regal stellt, als der gewebte Stoff, aus dem seinerseits ein Zelt des Vorlesens errichtet werden kann: Atem, Stimme, geteiltes Bewusstsein - dass aus einer meiner Geschichten so ein Raum werden könnte, ist das Schönste, was ich mir beim Schreiben denken kann.

Service

Buch, Anna Albinus, "Chalupki", edition fotoTAPETA

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler