Elif Duygu

OSMAN CETIN

Gedanken für den Tag

Wien und Istanbul - zwischen zwei Kulturen

Elif Duygu, Slam Poetin, Schriftstellerin und Moderatorin, über ihr Zuhause in zwei Kulturen

Mich hat mal jemand gefragt, wie es so ist, mit zwei Sprachen und zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen. "Keine Ahnung", entgegnete ich, "ich kenne nichts anderes, aber mit einer einzigen Kultur und Sprache aufzuwachsen stelle ich mir sehr langweilig vor."

Bis ich zu dieser Ansicht gekommen bin, hat es lange gedauert. Es ist nämlich nicht einfach zwischen zwei Kulturen und zwei Sprachen. Ganz besonders als Kind. Sich nie 100prozentig einem Land zugehörig zu fühlen hat mich stets begleitet. Ich war und bin für viele hier die Ausländerin und für einige in der Türkei wiederum die Europäerin. Und ich finde, das stimmt irgendwo. Ich kenne ja die Türkei nur als Urlaubsland. Ich habe nie wirklich dort gewohnt.

Ein Kind von Migrant:innen zu sein bedeutet auch oft, in sehr jungen Jahren anzufangen ein inoffizieller Dolmetscher zu sein: Übersetzt werden Briefe vom Finanzamt, Gespräche bei der MA35 oder dem AMS. Sogar der eigene Noten- und Leistungsstand im Unterricht muss dann bei Elternsprechtagen übersetzt werden. Und das ist nicht immer so angenehm. Ich habe auch nicht selten erlebt, dass meine Mutter in gewissen Ämtern vor meinen Augen angeschrien und erniedrigt wurde. Das war auch nicht sehr angenehm.

Das älteste Kind in der Familie oder im Bekanntenkreis zu sein bringt viel Verantwortung mit sich. Man hilft dann nämlich oft den jüngeren Geschwistern oder den Kindern von Freund:innen der Familie bei Hausaufgaben oder Vorbereitungen auf Schularbeiten. Als das älteste Kind kennt man sich nämlich am besten aus, da die Eltern in einem ganz anderen Schulsystem aufgewachsen sind. Diese Kinder leisten oft ihr Leben lang unbezahlte Care-Arbeit. Ich habe oft Schuldgefühle, dass ich mich so sehr über das Dolmetschen ärgere. Meine Mutter hat nämlich letztendlich einen gutbezahlten und angesehenen Bürojob in der Türkei aufgegeben, damit ich in Europa aufwachsen und zur Schule gehen kann. Seitdem sie hierhergezogen ist, arbeitet sie in einem körperlich sehr anstrengenden und systemrelevanten Job. Nach jedem Arbeitstag fällt sie müde ins Bett. Es ist mehr als verständlich, dass es dann keine Energie mehr für weiterführende Deutschkurse gibt.

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Improvisation
Album: ISTANBUL - DIMITRIE CANTEMIR: "Das Buch der Musikwissenschaft"
Titel: Taksim (Improvisation Kanun, Tanbur, Santur und Oud)
Solist/Solistin: Hakan Güngör
Solist/Solistin: Murat Salim Tokac
Solist/Solistin: Dimitris Psonis
Solist/Solistin: Yurdal Tockan
Länge: 01:23 min
Label: Alia Vox AVSA 9870

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