Maria Stepanova

19. November 2023, 08:15

Die im Berliner Exil lebende russische Dichterin Maria Stepanova wurde heuer für ihr Buch "Mädchen ohne Kleider" mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Das Buch besteht aus drei Gedichtzyklen. Der zweite Zyklus mit dem Titel "Kleider ohne uns" wird in der Sendung zu hören sein. Andrea Eckert interpretiert den reimlosen Sonettenkranz, in dem leere Kleidung, wesenhaft gestaltet, auf das Prekäre des Körperlichen verweist.

Maria Stepanova wurde 1972 als Tochter einer jüdischen Familie in Moskau geboren. Sie absolvierte das Maxim-Gorki-Literaturinstitut und war Chefredakteurin der Internetzeitschrift colta.ru., die kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs vom russischen Regime geschlossen wurde. Im März 2022 gehörte Stepanova zu den Unterzeichnern eines Appells russischsprachiger Schriftsteller, an alle russisch sprechenden Menschen innerhalb Russlands, die Wahrheit über den Krieg in der Ukraine zu verbreiten. Stepanova schreibt Gedichte, Essays und Romane. Auf Deutsch erschienen u.a. die Lyrikbände "Der Körper kehrt wieder" (2020), "Mädchen ohne Kleider" (2022) und "Winterpoem 20/21" (2023) sowie der Roman "Nach dem Gedächtnis" (2020), allesamt im Suhrkamp Verlag.

Ausgehend vom Zufallsfund einer Fotografie, die ein nacktes Mädchen auf der Chaiselongue zeigt, nimmt die Dichterin im ersten, namensgebenden Zyklus "den weiblichen Körper in Schutz gegen das Machtgefälle zwischen Betrachter und Objekt" (Jury Leipziger Buchpreis). Im dritten Zyklus mit dem Titel "Bist du Luft" spricht das lyrische Ich vierzeilig "in ein Grab hinein und verschmilzt mit der Kindheitslandschaft. In den Tiefenschichten lagern auch die Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts und die Knochen der Gefallenen." (Jury Leipziger Buchpreis).

Service

In dieser Sendung werden folgende Gedichte von Maria Stepanova vorgestellt:

"Teile sie ein, warum nicht, nach Gattung und Art."
"Verlassen, menschenler, reglos"
"Jahrzehnte hindurch liegt Erde unterm Asphalt."
"Hier ist ein Kimono, der zum Haori wurde"
"Mit offenen Armen für jeden Erstbesten."
"Sie haben studiert, sind gestorben, nicht wiedergekommen"
"Kein nackter fröstelnder Anthropos zeichnet sich ab."
"Ein sterblicher Körper, der eingeht in einen sterblichen Körper"
"Das leblos-hygienische blendende Licht."
"Ein Schatten vom Fleck, der zurück will an seinen Platz"
"Zeige an, dass das alles hier bald vorbei ist"
"Zeige die Kleider entkleidet"
"Lehre sie Erde zu werden."
"Und was nichts war, verwandelt sich in alle Welt"
"Komm, teil sie ein nach Gattung und Art."

Aus: Maria Stepanova, Mädchen ohne Kleider. Gedichte Russisch und deutsch. Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.

Sendereihe

• Du holde Kunst

Gestaltung

• Gudrun Hamböck

Übersicht

• Lesen mit Ö1