"In jedem Anfang liegt die Ewigkeit" - Vorfrühling

29. Jänner 2024, 06:57

Ein paar Wochen noch, dann ist es wieder soweit: Der Vorfrühling kommt. Ich bilde mir immer ein, ich rieche ihn, noch bevor er an den ersten grünen Trieben der Bäume zu sehen ist. Nicht mehr so stark wie in meiner Kindheit im Dorf, nicht zwischen den Häusern, aber wenn ich mit dem Rad an die Donau fahre oder in den Augarten gehe, ist die Luft anders. Und der Wind weht auf eine ganz eigene Weise. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein, weil mir das Gedicht "Vorfrühling" von Hugo von Hofmannsthal nicht aus dem Kopf geht, dessen treibende Kraft der Wind ist:

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
Im seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,
wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
in zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.

Das Wehen des Windes bleibt geheimnisvoll, nichts wird erklärt. Aber was für ein Klanguniversum wird da in wenigen Zeilen inszeniert - neben den Kreuzreimen am Zeilenende kommt es immer wieder zu Gleichklängen, besonders in der vierten Strophe:

Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.

Auch der Rhythmus des Gedichtes ist spürbar, aber er ändert sich immer wieder - es ist, als würde sich das Gedicht selbst im Wind drehen. Hinter dieser gekonnten Handhabung von Rhythmen und Reimen, hinter diesem ganz eigenen Ton, würde niemand einen achtzehnjährigen Gymnasiasten vermuten - Hugo von Hofmannsthal musste es 1892 unter dem Pseudonym Loris veröffentlichen, weil er als Schüler des akademischen Gymnasiums in Wien nicht in einer Zeitung publizieren durfte. Später musste er oft lange um ein Werk ringen, aber die frühen Gedichte schienen ihm wie von selbst aus der Feder zu fließen. Und prägen sich wie von selbst ein.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
Im seinem Wehn.

Service

Hugo von Hofmannsthal, Gedicht "Vorfrühling", Verlag Reclam


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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler