Kunst ist sichtbarer Gott

11. März 2024, 06:57

Alexej von Jawlensky ist einer der bedeutendsten Maler der klassischen Moderne. Als gebürtiger Russe war er im orthodoxen Christentum verwurzelt. Der Kunst zuliebe emigrierte er 1896 nach München, zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er aus Deutschland ausgewiesen, lebte dann sieben Jahre in der Schweiz und von 1921 bis zu seinem Tod 1941 in Wiesbaden, wo er mit den "Abstrakten Köpfen" seine bedeutendsten Serien schuf und mit den "Meditationen" seine berührendsten.

Alexej von Jawlensky war mit Paul Klee und Wassilij Kandinsky befreundet, mit Franz Marc und Emil Nolde. Begonnen hat er mit Landschaften und Stillleben. Dann malt er fast nur mehr Gesichter. Aber bei Jawlensky darf es nicht Gesichter, sondern muss es "Gesichte" heißen. Für ihn ist das Gesicht der Ort des Religiösen.

Als er 65 ist, bricht eine schwere Krankheit der Gelenke an Ellbogen und Händen aus. Mit von sich gestreckten Armen bewegt er den an die Hände gebundenen Pinsel, senkrecht, waagrecht. Augen und Mund waagrecht, die Nase senkrecht. So wird das Gesicht zum Fenster und schließlich das Fenster zum Kreuz. In hunderten kleinformatigen Bildern leuchtet die Farbe dunkel aus der Tiefe des ungelenk einfachen Pinselstrichs. Jawlensky nennt diese Bilder "Meditationen".

Damals, 1935, kauft ein junger amerikanischer Musiker eines dieser kleinen Bilder, er ist aber so arm, dass er den Sonderpreis von 25 Dollar in Raten zahlen muss. Anzahlung: 1 Dollar. In holprigem Deutsch schreibt der Amerikaner an den Russen Jawlensky: "Ich bin sehr freudig, weil ich habe eines Ihrer Bilder gekauft. Jetzt ist es in mir. Ich schreibe Musik. Sie sind mein Lehrer." Der Musiker war John Cage, der mittlerweile weltberühmte Komponist.

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