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Radiogeschichten
Liebe seziert
"Mühlstein". Von Margaret Drabble (Übersetzung: Irmela Erckenbrecht). Es liest Chris Pichler
25. März 2024, 11:05
Die englische Schriftstellerin Margaret Drabble, Jahrgang 1939, ist im deutschsprachigen Raum nicht sehr bekannt. Zwar wurden viele ihrer Romane übersetzt, aber das ist vierzig, fünfzig Jahre her. Nun ist ihr Roman "Mühlstein" aus dem Jahr 1965 neu übersetzt worden. Darin erzählt sie von einer jungen Frau namens Rosamund Stacey, Studentin der Literaturwissenschaft, die, wie ihre gleichaltrigen Freunde von liberaler Gesinnung und weitgehend emanzipiert ist, was den Anfang des so genannten Swinging London, also die Zeit des kulturellen Bruchs mit der Kriegsgeneration, markiert. Zugleich steckt in Rosamund der viktorianische Zug verklemmter Körperlichkeit.
Und dann kommt es doch zu einem One-Night-Stand, einer einmaligen und reichlich verkrampften sexuellen Begegnung mit einem Moderator der BBC. Rosamund wird schwanger, der Vater erfährt nichts von seinem Glück.
Die große Leistung von Margaret Drabble ist es, in Form einer simplen Alltagsgeschichte den Begriff Liebe zu sezieren und wie unter einem Mikroskop zu untersuchen. Bekanntlich ist Liebe einerseits ein Begriff, den wir für unterschiedlichste Gefühlslagen anwenden oder glauben anwenden zu müssen, andererseits halten wir es, wenn wir eine sehr intensive Zuneigung empfinden, das Wort Liebe für zu banal. Ohne sich auch nur ansatzweise einem Mutterschaftsheldenepos anzunähern, handelt der Roman von einer wachsenden Bindung an ein Kind, die keinen Vergleicht findet in anderen sozialen Bindungen. Für Rosamund kommt diese Erkenntnis überraschend, doch umso fester steht sie in der Folge zu ihrer Entscheidung, keine weitere Partnerschaft eingehen zu wollen, wenn damit keine Tiefe der Empfindung verbunden ist. Selten wurde all das so beschwingt, humorvoll und reflektiert beschrieben.
Service
Margaret Drabble, "Mühlstein", Roman, Übersetzung von Irmela Erckenbrecht, Dörlemann Verlag
Sendereihe
Gestaltung
- Peter Zimmermann