Archivaufnahme der Kennedybrücke/Hietzinger Brücke aus den 1960er Jahren

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Gedanken für den Tag

Kindheit in Wien um 1960

von Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschaftler

Meine zweite Enkelin ist zu Ende der Corona-Pandemie geboren. Im Kinderwagen hab ich sie wöchentlich durch den 2. Wiener Gemeindebezirk, die Leopoldstadt gefahren. Im Karree Taborstraße, Praterstern, Heinestraße, Pillersdorfgasse. Bei meinen Spaziergängen 2022 und 2023 befand ich mich auf einer Zeitreise, bin ich doch vor 60 Jahren mit meinem Großvater an der Hand durch dieselben Gassen und Straßen gegangen.

Dieses kurzlebige Paradies hatte sein Zentrum in der Pillersdorfgasse 13, in der Wohnung meines Großvaters. Sie war bis zu dessen Tod 1964 fester Ankerplatz einer Kindheit, die von Ortswechseln unseres unsteten Vaters geprägt war. Nicht erste heute weiß ich, dass die Heinestraße in der kurzen, aber verhängnisvollen Zeit zwischen 1938 und 1945 nach dem Lehrmeister der Nationalsozialisten Schönererstraße hieß. Die Pillersdorfgasse erhielt ihren Namen im Jahr 1862 und ist nach dem blassen Reformpolitiker Franz Freiherr von Pillersdorf benannt. Die Pillersdorfgasse war verlängerte Werkbank einer Citroen-Reparaturwerkstatt, vor allem von 2CVs bevölkert, den runden Autos mit den üppigen Kotflügeln - fremde Gäste wie an einer unsichtbaren Schnur aneinandergereiht.

Die Gassen und Gebäude in der Leopoldstadt vor und um 1960 überzog ein eindringliches Grau, das ich nach der Wende von 1989 in manchen Stadtbezirken von Krakau, Brünn und Zagreb wiedergefunden habe. Im Areal der Reste des Nordwestbahnhofs und beim Anblick der Flaktürme im Augarten war die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs noch mit Händen zu greifen.

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: O'Rannigan
Komponist/Komponistin: J.C. Morgan
Album: Schnitzelbeat Vol.2 - You Are The Only One
Titel: Come back to me
Ausführende: The Boys
Länge: 02:17 min
Label: Konkord 089

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