PICTUREDESK.COM/ÖNB-BILDARCHIV
Betrifft: Geschichte
Sturm auf Goldegg
80 Jahre geteilte Erinnerungen
Mit dem Publizisten und Politikwissenschaftler sowie Vorstand des Vereins "Goldegger Deserteure: Plattform für regionale Erinnerungskultur" Erwin Schörghofer
Gestaltung: Andreas Wolf
1. Juli 2024, 15:55
Der Anführer der Deserteure hatte ein Verhältnis mit "Liesl", einer Bauerntochter. Als ihn die SS verfolgte versteckte er sich in einer Zwischendecke am weitläufigen Hof seiner Freundin. Da Liesl das Versteck nicht kannte, konnte sie, trotz Misshandlungen durch die Gestapo, keine Auskunft über das Versteck des Gesuchten geben. Zwei ihrer Brüder wurden bei der Razzia erschossen. Außerdem hätten die Deserteure Vieh gestohlen, auf die Polizei geschossen und die Sennerinnen mit dem Erschießen bedroht, sollten diese das Versteck der Deserteure verraten.
Erzählt wird diese Version der Geschichte in der Salzburger Ortschaft Goldegg nur mit vorgehaltener Hand. Denn auch 80 Jahre nach dem "Sturm auf Goldegg" an dem etwa 1000 SS-Soldaten und 60 Gestapo Männer teilnahmen, sind die Ereignisse im Ort weitgehend tabuisiert.
Sicher ist, dass die Einsatzkräfte Jagd auf eine Gruppe von Deserteuren und ihre, vor allem weiblichen, Unterstützer machten. Bei den brutalen Hausdurchsuchungen wurden 50 Menschen verhaftet sowie 14 Personen entweder vor Ort, oder später in Konzentrationslagern ermordet.
Nach dem Krieg kam es zu einer Täter-Opferumkehr. So beschuldigte ein Teil der Goldegger Bevölkerung die Deserteure als Verursacher der Razzia und ihrer Folgen. Ein weiteres Gerücht besagte, dass der gesamte Ort als Strafe nach "Osten" hätte deportiert werden sollen. Verhindert wurde dies angeblich durch Interventionen beim NS-Gauleiter von Salzburg und beim Reichsführer SS Heinrich Himmler. Doch diese Geschichte ist nachweislich falsch, dennoch fand sie 2008 noch Eingang in die Ortschronik! Auch wenn diese Passage inzwischen korrigiert wurde, spaltet die Erinnerung an den "Sturm auf Goldegg" bis heute die Goldegger Bevölkerung.