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Gedanken für den Tag
"Ich glaube, dass Menschen besser sein können als angenommen"
Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", zum 100. Geburtstag von James Baldwin
29. Juli 2024, 06:57
Am 2. August 1924 wird der Schriftsteller James Baldwin in Harlem, New York, geboren - in eine Welt, in der die Hautfarbe bestimmt, welchen Wert man als Mensch hat. Er ist noch keine sieben Jahre alt, als er von zwei weißen Polizisten fast zu Tode geprügelt wird. Er lernt still zu sein, sich anzupassen.
"Du bist in eine Gesellschaft hineingeboren, die Dir mit brutaler Offenheit und auf vielfältigste Weise zu verstehen gibt, dass Du ein wertloser Mensch bist", schreibt er 1962 in einem berühmten Brief an seinen 15-jährigen Neffen. "Wo Du Dich auch hingewandt hast in Deinem kurzen Leben auf dieser Erde, James, hat man Dir gesagt, wo Du hin kannst, was Du tun kannst (und wie), wo Du leben und wen Du heiraten kannst. (.) Alles, was Dein Leben ausmacht und verkörpert, ist bewusst so angelegt, dass Du glauben sollst, was Weiße über Dich sagen."
Das heißt, mit anderen Worten: Von Anfang an lerne man als Schwarzer Mensch, sich selbst zu verachten. Das Kind wächst in permanenter Angst auf, denn hinter der Autorität der Eltern "steht eine andere, eine namenlose, unpersönliche, unendlich viel schwerer zufriedenzustellen und bodenlos grausam".
Das Konstrukt des Rassismus, die Abwertung von Menschen wird so vermittelt, als wäre sie nicht menschengemacht, sondern eine unumstößliche, absolute Wirklichkeit. Das zu glauben aber zerstört nicht nur das Leben Schwarzer Menschen, sondern aller Menschen eines Landes. Dagegen richtet James Baldwin immer wieder seinen Appell: Schwarz und Weiß zählen nicht; "anderes zu glauben, hieße, in die eigene Zerstörung einzuwilligen."
"Warum braucht ihr diese Erfindung?", fragt Baldwin in Interviews und Essays. Die Antwort auf diese Frage gelte es herauszufinden. Der Rassismus macht nicht nur mit den Opfern etwas, sondern auch mit den Tätern.
Service
James Baldwin, "Nach der Flut das Feuer". "The Fire Next Time", dtv 2019 ("The Fire Next Time", 1963)
James Baldwin, "Von einem Sohn dieses Landes". "Notes of a Native Son". Essays. dtv 2022 ("Notes of a Native Son", 1955)
James Baldwin, "Ich weiß, wovon ich spreche. Ein Leben in Gesprächen", Zusammengestellt von Lena Riebl und Sarah Altenaichinger. Kampa Verlag 2024
René Aguigah, "James Baldwin. Der Zeuge. Ein Porträt", C.H. Beck 2024
Brigitte Schwens-Harrant/Jörg Seip, "Mind the gap. Sieben Fährten über das Verfertigen von Identitäten", Klever Verlag 2019
"I Am Not Your Negro". Ein Film von Raoul Peck. Nach einem Text von James Baldwin. 2016
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Nicholas Britell
Vorlage: James Baldwin 1924-1987
Bearbeiter/Bearbeiterin: Nicholas Britell (Orchestr.)
Gesamttitel: IF BEALE STREET COULD TALK / Original Filmmusik
Titel: What have they done?
Untertitel: Bonus Tracks
Orchester: Filmorchester
Leitung: Nicholas Britell
Länge: 01:16 min
Label: Lakeshore Records