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Gedanken für den Tag
Familie: im großen System das kleine
Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", zum 100. Geburtstag von James Baldwin
30. Juli 2024, 06:57
Die Erfahrungen in der Kindheit und Jugend spielen in den Texten von James Baldwin eine wichtige Rolle. Vor allem das schlechte Verhältnis zum Stiefvater thematisiert der 1924 in Harlem geborene afroamerikanische Schriftsteller immer wieder. Die Mutter erlebt er als andauernd im Krankenhaus, weil sie wieder einmal ein Kind bekommt. Insgesamt acht Geschwister folgen James im Lauf der Jahre. Seine jüngste Schwester wird am 29. Juli 1943 geboren, just an dem Tag, an dem der Vater stirbt. James ist es, der kurz vor seinem 19. Geburtstag seiner Schwester den Namen gibt: Paula Maria.
Zeitlebens fürchten er und seine Geschwister den Vater. "Ich kann mich nicht erinnern, dass sich irgendeines seiner Kinder jemals freute, wenn er nach Hause kam", erzählt Baldwin in seinem ebenso berührenden wie analytischen Essay "Von einem Sohn dieses Landes". Der Vater versucht erfolglos, seinen Kindern nahe zu sein. "Nahm er ein Kind zum Spielen auf den Schoß, wurde es quengelig und fing an zu weinen, versuchte er, uns bei den Hausaufgaben zu helfen, lähmte seine unablässige Anspannung unseren Verstand und unsere Zunge, sodass er, praktisch ohne zu wissen, warum, in Wut ausbrach und das Kind, ohne zu wissen, warum, bestraft wurde." Nicht einmal die Wassermelonen, die der Vater nach Hause schleppt, lösen Freude aus.
Später wird Baldwin versuchen, sich dies alles zu erklären, und dabei nimmt er das gesamte zerstörerische System in den Blick, in dem sie aufgewachsen sind: Der Vater "konnte die Weißen, die er hasste, nicht erreichen, er konnte sie nicht schlagen: also schlug er uns".
James Baldwin hat sich um seine Geschwister gekümmert, als wäre er ihr Vater. Dort, wo er, der Kinderlose, später über Babys und Kinder schreibt - in denen er die Hoffnung auch des Landes sieht - spürt man den empathischen Blick besonders, der sein Denken und Schreiben ausmacht. Stets versucht Baldwin eine Alternative zu Hass und Gewalt.
Service
James Baldwin, "Kein Name bleibt ihm weit und breit", dtv 2024 ("No Name in the Street", 1972)
James Baldwin, "Von einem Sohn dieses Landes". "Notes of a Native Son". Essays, dtv 2022 ("Notes of a Native Son", 1955)
René Aguigah," James Baldwin. Der Zeuge. Ein Porträt", C.H. Beck 2024
"I Am Not Your Negro". Ein Film von Raoul Peck. Nach einem Text von James Baldwin.
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Nicholas Britell
Vorlage: James Baldwin 1924-1987
Gesamttitel: IF BEALE STREET COULD TALK / Original Filmmusik
Titel: This is where my life is
Untertitel: Bonus Tracks
Orchester: Filmorchester
Leitung: Nicholas Britell
Länge: 02:18 min
Label: Lakeshore Records