Künstliche Zähne beissen auf eine Ein-Euro Münze

DPA/LBY/ARMIN WEIGEL

Punkt eins

Krank, aber nicht versichert

Die neue Virgilambulanz in Salzburg: Hilfe für Unversicherte und Menschen in Not, Herausforderungen für das Gesundheitswesen. Gäste: Tanja Steffen, Diplompflegerin, Virgilambulanz und Johannes Dines, Direktor Caritas Salzburg & Michael Fuchs, Soziologe, Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Eigentlich sollte es das nicht geben, ist Österreich doch ein Sozialstaat, das heimische Gesundheitssystem eines der besten der Welt, medizinische Versorgung ein Menschenrecht und die Krankenversicherung hierzulande im Status einer Pflichtversicherung. Und doch sind nach Schätzungen einige Zehntausend bis zu 100.000 Menschen in Österreich nicht krankenversichert.

Am 1. August eröffnet nach jahrelanger Planung mit der Virgilambulanz der Caritas in Salzburg ein neues Angebot "für Menschen ohne Versicherung oder in Not" im Gebäude des Albertus-Magnus-Hauses in Parsch. Von Montag bis Freitag am Vormittag und zwei Mal wöchentlich am Nachmittag bietet das Team dort ab jetzt medizinische, pflegerische und soziale Versorgung. "Wir haben das Ziel, Menschen möglichst früh zu behandeln und mehr als eine reine Akutbehandlung zu leisten", sagt Johannes Dines, Direktor Caritas Salzburg, denn ohne Krankenversicherung besteht auch kein Anspruch auf Nachsorge, Therapie oder Hilfe bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes und offenen Wunden.

"Obwohl der Krankenversicherungsschutz relativ umfassend ausgestaltet ist, fallen an den Rändern des Systems Personen in außergewöhnlichen Lebenslagen und Statusübergängen aus dem Schutzbereich der Versicherung", liest man in einer Studie zur wissenschaftlichen Erfassung des Phänomens der Nicht-Versicherung, die der Soziologe Michael Fuchs vom UN-assoziierten Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung mitverfasst hat.

Der Kreis der Betroffenen ist überraschend groß: Armutsgefährdete Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, Schwarz- und Saisonarbeiter, "neue Selbstständige", gescheiterte Unternehmer, gestrandete Mittelständler und Geschiedene, Studierende, Menschen, die sich illegal in Österreich aufhalten, EU-Bürger ohne Versicherungsschutz, Obdachlose, Durchreisende - es gibt viele Gründe, warum Menschen unversichert sind, sagt Michael Fuchs, und nicht immer wissen die Betroffenen das überhaupt. Sind die Eltern nicht versichert, sind es auch die Kinder nicht. Vor einigen Monaten machte der Fall des Schauspielers Heinz Hoenig Schlagzeilen, der nicht krankenversichert ist und sich nur mit Hilfe von Spenden mehreren Operationen unterziehen konnte.

Seit gut 30 Jahren gibt es Anlaufstellen für Menschen ohne Versicherungsschutz in Österreich, die allgemeine Ambulanz des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien beispielsweise oder der Louisebus der Caritas. Vor bald 20 Jahren wurde AmberMed in Wien-Liesing gegründet, eine Kooperation der Diakonie und des Roten Kreuzes, und auch im Gesundheitszentrum des Wiener Neunerhauses finden Betroffene Hilfe.

Die Virgilambulanz der Caritas in Salzburg ist die erste ihrer Art in der Festspielstadt. Vor 10 Jahren machte dort der Virgilbus als mobiler Akutversorger erstmals Station, seither hat dessen Initiator, der Internist Sebastian Huber (bis 2023 Abgeordneter zum Landtag für die NEOS und ehemaliger Zweiter Landtagspräsident) sich für eine Ambulanz engagiert, die die Caritas jetzt umgesetzt hat. Vorbild war unter anderem die Grazer Marienambulanz der Caritas, 1999 für Flüchtlinge ohne Versicherung installiert, heute auch eine Anlaufstelle "für Versicherte, die die Schwelle im öffentlichen Gesundheitssystem nicht überwinden können".

In den letzten Jahren wurden auch zahlreiche politische Maßnahmen gesetzt, um möglichst viele Menschen in die Krankenversicherung einzubeziehen, erläutert Michael Fuchs - und das mit Erfolg: Sei es die Einführung der Grundversorgung für Asylwerber 2004, die Ausweitung der Schutzfrist nach Beendigung eines Dienstverhältnisses 2006 oder die Einbeziehung aller Mindestsicherungsbezieher:innen in die Krankenversicherung 2010.

Wieso braucht es dennoch eine weitere Anlaufstelle für Menschen ohne Versicherung? Wie geraten Menschen an die "Ränder des Systems" und was bedeutet es, sich Kranksein, eine Therapie und medizinische Hilfe nicht leisten zu können?

Der Soziologe Michael Fuchs forscht seit bald 25 Jahren am Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien zu Themen wie Sozialversicherungsleistungen, Familien - und Arbeitsmarktpolitik. Gemeinsam mit dem Direktor der Caritas Salzburg, Johannes Dines, der die Virgilambulanz auf den Weg gebracht hat, und der diplomierten Krankenpflegerin Tanja Steffen, ist er Gast in Punkt eins bei Barbara Zeithammer.

Reden Sie mit: Waren Sie einmal unversichert krank? Wie kam es dazu und wo haben Sie Hilfe gefunden? Engagieren Sie sich als Arzt/Ärztin oder Pflegekraft - warum? Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Playlist

Urheber/Urheberin: Charles Edward Ives
Titel: Song Without Good Words; zT unterlegt
Länge: 03:35 min

Urheber/Urheberin: Charles Edward Ives
Titel: The Camp Meeting; zT unterlegt
Länge: 07:18 min

Urheber/Urheberin: Charles Edward Ives
Titel: Children´s Day, zT unterlegt
Länge: 07:25 min

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