Andrej Grilc
Opernabend - Salzburger Festspiele 2024
Georg Friedrich Haas: "Koma"
Mit Sarah Aristidou (Michaela), Pia Davila (Jasmin), Daniel Gloger (Alexander, Mutter), Peter Schöne (Michael), Susanne Gritschneder (Dr. Auer), Henriette Gödde (Dr. Schönbühl), Karl Huml (Pfleder Jonas), Benjamin Chamandy (Pfleger Nikos), Raphael Sigling (Pfleger Zdravko).
Klangforum Wien; Dirigent: Bas Wiegers.
(aufgenommen am 24. Juli 2024 im Großen Saal der Stiftung Mozarteum Salzburg, im Rahmen der "Salzburger Festspiele 2024")
10. August 2024, 19:30
Bei den Salzburger Festspielen hatte am 24. Juli 2024 die finale Version von Georg Friedrich Haas' Oper "Koma" nach einem Libretto von Händl Klaus ihre konzertante Premiere. Dieses Werk war szenisch bereits in Schwetzingen, Darmstadt, Klagenfurt, Dijon und Braunschweig zu sehen. Eine Neuproduktion von "Koma" war auch für die Bayerische Staatsoper mit Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent Teodor Currentzis geplant, mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine wurde diese für 2022 geplante Premiere allerdings abgesagt, Georg Friedrich Haas ließ verlauten, er sei mit Currentzis als Dirigent nicht einverstanden.
Die Salzburger Aufführung mit dem Klangforum Wien unter Bas Wiegers wurde nun für Sängerensemble und Orchester zum lautstark umjubelten Triumph, das Publikum zeigte sich tief bewegt. Das Besondere an der Konzeption von "Koma": Große Teile der Oper werden in absoluter Dunkelheit aufgeführt. Eine Herausforderung für die Ausführenden, die sich in Dunkelheit koordinieren müssen, gegen Ende des Stückes getaktet durch die Länge des eigenen Atems. Haas hat für diese Form der Aufführungspraxis zu komponieren viel Erfahrung, sein in Dunkelheit zu spielendes Ensemblestück "in vain" wurde 2017 von einer italienischen Musikzeitschrift als bedeutendstes Werk in der Kunstmusiksparte seit 2000 gekürt.
Die Dunkelheit intensiviert den Eindruck der mikrotonalen Musik noch, weil beim Publikum ein Sinn wegfällt, die Ohren werden umso mehr gespitzt. Und sie verstärkt die Geschichte, die erzählt wird: Die Hauptfigur Michaela liegt im Koma. Alle Personen des Stücks befinden sich rund ums Spitalsbett. Wir hören also, was Komapatientin Michaela potentiell hören könnte.
An ihrem Bett: Ihr Mann Michael, ihre (verstummte) Tochter Barbara, ihre Schwester Jasmin, deren Mann Alexander, dann das Krankenhauspersonal, die beiden Ärztinnen Dr. Auer und Dr. Schönbühl und drei Pfleger: Jonas, Niko, Zdravko.
Sie sprechen Michaela an, vollführen mit ihren Armen Schwimmbewegungen, die an die Ursache des Komas erinnern sollen: Michaela ist mitten im Winter weit auf einen See hinaus geschwommen - und mit letzter Kraft doch noch umgekehrt, dann erschöpft unter einem Steg versunken, wo sie von ihrer Tochter gefunden worden ist.
Michaela scheint im Zustand eines Wachkomas gefangen: Sie schaut, sie kaut weiche Nahrung, sie bewegt die Arme, sie weint im Schlaf, sie stöhnt zornig - aber alles ohne Bewusstsein.
Ob etwas in ihr vorgeht, bleibt unklar, und auch wenn die Musik in ihre Gedanken zu leuchten scheint. Das Werk von Georg Friedrich Haas bleibt hier bewusst uneindeutig - die Figur der Michaela singt, aber sie formuliert dabei keinen Text, sondern nur sinnentleerte Vokale, die mit der Tonhöhe der komponierten Töne korrelieren.
Die französisch-zypriotische Sopranistin Sarah Aristidou war als Michala auf dem Rang des Saales erhöht im Rücken des Publikums postiert, sie sang immer nur in Phasen der totalen Dunkelheit. Im Großen Saal des Mozarteums hat das großen Effekt gemacht.
Im Laufe der Aufführung kann man in dem, was ihre Verwandtschaft am Bett der Komapatientin sagt, das Schicksal von Michaela rekonstruieren: Sie war eine überforderte Lehrerin, von den Schülern gemobbt. Alles Negative in ihrem Leben hat offenbar zu ihrem Todeswunsch geführt - man versucht daher der Patientin das eigene Ertrinken vor ihrem inneren Auge noch einmal wie einen Film durchspielen zu lassen.
Das Stück endet, soweit es möglich ist, mit einem Happy End: Und dieses Happy End ist, so Haas, "dass alle Beteiligten hier ihre Liebe erklären. Dieses 'Michaela' am Schluss ist ein zutiefst versöhnlicher Schluss. Dass eben doch die Zuneigung, in welcher Form auch immer, im Endeffekt das ist, was bleibt."
Sendereihe
Gestaltung
- Rainer Elstner
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Georg Friedrich Haas
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Händl Klaus
Gesamttitel: Salzburger Festspiele 2024 / Ouverture Spirituelle / Et Exspecto
Titel: Koma / Oper mit einem Text von Händl Klaus / definitive Fassung / Konzertante Aufführung
Solist/Solistin: Sarah Aristidou /Sopran, Michaela
Solist/Solistin: Pia Davila /Sopran, Jasmin
Solist/Solistin: Daniel Gloger /Countertenor, Alexander / Mutter
Solist/Solistin: Peter Schöne /Bariton, Michael
Solist/Solistin: Susanne Gritschneder /Mezzosopran, Dr. Auer
Solist/Solistin: Henriette Gödde /Alt, Dr. Schönbühl
Solist/Solistin: Karl Huml /Baß, Pfleger Janos
Solist/Solistin: Benjamin Chamandy /Baß-Bariton, Pfleger Nikos
Solist/Solistin: Raphael Sigling /Baß, Pfleger Zdravko
Orchester: Klangforum Wien
Leitung: Bas Wiegers
Länge: 120:29 min
Label: Ricordi / Materialleihgebühr
Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Responsorien der Karwochenliturgie
Vorlage: Bibel AT und NT
Gesamttitel: Salzburger Festspiele 2022 / Ouverture Spirituelle / Hommage Wolfgang Rihm (SFKOL220723-1_S)
Titel: Vigilia / Betrachtungen über den Kreuzestod Jesu für sechs Stimmen und Instrumentalensemble
* Miserere mei, Deus / Hab Erbarmen mit mir, gott (Fragment aus Psalm 50 / 51, 3.14.16.21) / Chor und Instrumentalensemble (00:17:04)
Chor: Cantando Admont
Ausführender/Ausführende: Elina Viluma-Helling /Sopran, Mitglied Cantando Admont
Ausführender/Ausführende: Cornelia Sonnleithner /Alt, Mitglied Cantando Admont
Ausführender/Ausführende: Hugo Paulsson Stove /Tenor 1, Mitglied Cantando Admont
Ausführender/Ausführende: Jan Petryka /Tenor 2, Mitglied Cantando Admont
Ausführender/Ausführende: Matias Bocchio /Bariton, Mitglied Cantando Admont
Ausführender/Ausführende: Karl Söderström /Bass, Mitglied Cantando Admont
Choreinstudierung: Cordula Bürgi
Ausführende: Klangforum Wien
Ausführender/Ausführende: Peter Böhm /Klangregie und Tontechnik
Leitung: Sylvain Cambreling
Länge: 14:53 min
Label: UE LM