Maria - die prototypische Frau

12. August 2024, 06:57

Wo im christlichen Umfeld über Geschlechtlichkeit und insbesondere über Frauen nachgedacht wird, ist Maria in aller Regel nicht weit. Die Frau, die gemäß den Texten des Neuen Testaments den Sohn Gottes geboren hat, gilt in weiten Teilen der christlichen Tradition als Urbild, quasi als idealer Prototyp von Frauen. Wie Maria ihre Fraulichkeit gelebt hat, so die in der Regel von Männern aufgestellte Forderung, so sollen auch die Frauen ihr Frausein verwirklichen. Und dies ist eine mehr als ambivalente Angelegenheit.

Gemäß dem Matthäus- und Lukasevangelium hat Maria Jesus, den Gottessohn, vom Heiligen Geist empfangen, ohne dass ihr Verlobter Josef daran irgendwie beteiligt gewesen wäre. Dies hat die kirchliche Lehre zu der Überzeugung ausgebaut, dass Maria ihr gesamtes Leben lang jungfräulich war und darin hingebungsvoll und gehorsam. Idealerweise sollten nun auch Frauen so sein wie sie: nämlich sexuell enthaltsam, hingebungsvoll und gehorsam gegenüber Gott, aber durchaus auch gegenüber dem Mann.

Später wird Maria dann als hingebungsvolle Mutter gepriesen. Dass die Bibel wenig von Marias mütterlichen Qualitäten berichtet, hindert die Theologie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nicht daran, Maria zur Kinder-Küche-Kirche-Frau zu stilisieren, wie das Bürgertum sie ersehnte.

Frauen werden so auf Rollen festgeschrieben - sie verwirklichen sich in Sorge und Hingabe, in Keuschheit und Gehorsam. Dies blendet freilich nicht nur die ganze Vielfalt konkreten Frauenlebens aus. Die Mariologie ist so auch Einfallstor patriarchaler Macht und, wie mittlerweile deutlich ist, von spiritueller und sexualisierter Gewalt. Es ist an der Zeit, den Blick zu öffnen für eine andere Maria.

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