Menschen stehen an der Griechisch-türkischen Grenze hinter einem Maschendrahtzaun

AFP/SAKIS MITROLIDIS

Punkt eins

Verschärfen, Abschotten, Abschieben

Die europäische Asyl- und Migrationspolitik auf dem Prüfstand. Gast: Univ.-Prof. Dr. Bilgin Ayata, Professorin für Migration und Transnationale Studien am Zentrum für Südosteuropastudien, Universität Graz. Moderation: Johann Kneihs. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Bereits auf dem Schiff werden die Migrantinnen und Migranten "vorselektiert". Die Aufnahme der persönlichen Daten, die Feststellung des Herkunftslandes, Verfahren, die üblicherweise in Erstaufnahmezentren durchgeführt werden, passieren so noch bevor die Menschen festen Boden unter den Füßen haben.

Vergangene Woche sind die ersten Migranten in dem neuen italienischen Asylaufnahmezentrum in Albanien angekommen, das Platz für bis zu 3.000 Asylsuchende bieten soll. Ein Vorzeigemodell der italienischen Regierungschefin Georgia Meloni, für das sie beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vergangenen Donnerstag Werbung machte. Ein italienisches Gericht erklärte die das Vorgehen in Albanien allerdings kurz darauf für unzulässig; die Migranten sind nach Italien zurückgebracht worden. Meloni gibt sich kämpferisch und hat für heute, Montag, eine Sondersitzung des Kabinetts angesetzt.

Durch Abkommen mit Drittstaaten, wie jenem zwischen Italien und Albanien, sollen Migrant:innen zunächst von den EU-Außengrenzen ferngehalten werden. Damit stößt Meloni bei den anderen EU-Staaten auf Interesse. Möglichkeiten für mehr Kontrolle an den Außengrenzen, schnellere Asylverfahren und vor allem schnellere Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden werden diskutiert und überprüft - nur wenige Monate, nachdem sich die EU-Staaten auf eine Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems geeinigt hatten. Dieser Migrations- und Asylpakt sollte im Jahr 2026 in Kraft treten, doch nun scheint es einigen EU-Mitgliedern nicht schnell genug zu gehen.

Polen etwa will das Asylrecht an seiner Grenze zu Belarus vorübergehend aussetzen. Ministerpräsident Donald Tusk wirft Russland und Belarus vor, gezielt Migrantinnen und Migranten an die Grenze zu bringen, um Druck auf die EU auszuüben. Ebenso verstärkte Finnland die Kontrollen an den Grenzzäunen zu Russland.

Von einer Wende in der EU-Asyllinie ist die Rede, der Wind habe sich gedreht, die Süddeutsche Zeitung etwa schreibt von einer "Unwillkommenskultur". Verstößt die EU damit gegen ihre eigenen Grundrechte? Welche Risiken bestehen, wenn sie ihre Migrationspolitik in Drittstaaten auslagert und dafür fragwürdige Abkommen eingeht? In Kritik steht etwa das bestehende Abkommen mit Tunesien. Der dortige Präsident Kaied Saied befeuert eine Kampagne, die Migrant:innen kriminalisiert und damit zugleich Organisationen der tunesischen Zivilgesellschaft angreift.

Wohin führt die zunehmende Abschottungspolitik der EU? Laut Bilgin Ayata, Universitätsprofessorin für Migration und Transnationale Studien an der Universität Graz, verschieben sich die Grundpfeiler der EU, was Folgen für die gesamte Gesellschaft habe. Sie spricht von einer "Fiktion der Kontrolle", einer "So-tun-als-ob-Politik" und einem klaren Missverhältnis zwischen den hohen Summen, die in eine Festung Europa investiert werden und den dargelegten Zielen. Die politischen Dynamiken decken sich zudem nicht mit den empirischen Daten. Bilgin Ayata betreut Forschungsprojekte an den EU-Außengrenzen, wo die Folgen der Asyl- und Migrationspolitik sichtbar werden: in Italien, Griechenland, Tunesien sowie auf den Kanarischen Inseln. Wie sehen die Erfahrungen vor Ort aus? Wie kann eine Asyl- und Migrationspolitik aussehen, in der Menschen- und Grundrechte ebenso gewahrt bleiben, wie die vielbeschworene "Ordnung" innerhalb der EU?

Darüber spricht Bilgin Ayata als Gast von Johann Kneihs und wie immer sind Sie, unsere Hörerinnen und Hörer, herzlich eingeladen, sich an dem Gespräch zu beteiligen: Rufen Sie an unter 0800 22 69 79 (kostenfrei innerhalb von Österreich) oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

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