Brille auf Manuskript

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Punkt eins

Einfach nur vergesslich geworden?

Demenzielle Erkrankungen: Wie die Diagnose gestellt wird und wie Menschen damit umgehen. Gäste: Assistenzprof. Dr. Michaela Defrancesco, MMSc, PhD, Leiterin der Gedächtnissprechstunde, Univ.-Klinik für Psychiatrie I, Medizinische Universität Innsbruck & Gerhard Bauernfeind, jungerkrankter Betroffener und Experte in eigener Sache & Johanna Püringer, Dachverband Demenz Selbsthilfe Austria, Selbsthilfegruppe "Über den Berg kommen". Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Im Rückblick scheint es manchmal offensichtlich, dann fügt sich alles in ein Krankheitsbild: die Schwierigkeiten, sich zu erinnern, was gestern war, wo Schlüssel und Brille liegen, die richtigen Worte zu finden oder die Orientierung. Wenn das Gehirn altert, äußert sich das in kognitiven Einschränkungen - aber wann sollte man Anzeichen ernst nehmen und eine etwaige Demenz abklären lassen? Wo kann man hingehen, wie läuft die Diagnostik ab und was bedeutet die Diagnose schließlich, wie geht es weiter?

"Es ist wichtig, sich möglichst früh Hilfe zu holen, denn man kann heute wirklich viel tun", sagt Dr. Michaela Defrancesco, Leiterin der Gedächtnissprechstunde an der Uniklinik Innsbruck, Medizinischen Universität. "Etwa die Hälfte der Menschen, die in unsere Gedächtnissprechstunde kommen, haben bereits mittelgradige demenzielle Erkrankungen", sagt die Wissenschaftlerin, die Grundlagen im Bereich von neurokognitiven Störungen mit Fokus auf die Alzheimer Erkrankung erforscht - die mit 60 bis 80 % häufigste Ursache für Demenzerkrankungen. In der wissenschaftlich orientierten Spezialambulanz werden Beeinträchtigungen in Bereichen wie Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- oder Sprachfunktionen abgeklärt und behandelt.

130.000 bis 150.000 Menschen in Österreich leben mit derartigen Beeinträchtigungen, bis 2030 wird sich ihre Zahl verdoppeln. Was landläufig "Demenz" genannt wird, ist ein Oberbegriff für etwa 50 verschiedene Veränderungen der Gehirnleistungen - mit unterschiedlichen Symptomen und Auswirkungen, Ursachen und Krankheitsverläufen. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, eine demenzielle Erkrankung zu entwickeln, mit dem Lebensalter steigt, gibt es auch Demenzerkrankungen, die vor dem 65. Lebensjahr beginnen.

Gerhard Bauernfeind, 62, ist seit einem Jahr Teilnehmender an der Wiener Selbsthilfegruppe "Über den Berg kommen", die sich besonders an jüngere Menschen mit kognitiven Veränderungen richtet, und möchte über Demenz aufklären und informieren. Johanna Püringer, Obfrau des Vereins Demenz Selbsthilfe Austria, moderiert die unterstützte Gruppe und setzt sich seit vielen Jahren engagiert gemeinsam mit Betroffenen für ihre Rechte, für Unterstützung, mehr Teilhabe und vor allem gegen die Stigmatisierung der demenziellen Erkrankungen ein.

Wie sprechen wir über Demenz? Welche Rolle spielen die Angst vor der Diagnose und das Krankheitsbild, das in der Gesellschaft und den Medien gezeichnet wird, wenn es darum geht, sich Hilfe zu holen, bei der Vermittlung der Diagnose und schließlich im Alltag?

"Manchmal sagen Angehörige: Aber das Wort darf nicht vorkommen. Doch auf dem Arztbrief steht es dann natürlich. Und ohne Diagnose gibt es keine Möglichkeit, soziale Leistungen zu beziehen, Pflege, Therapie, Versorgung", sagt Michaela Defrancesco, die sich auch in zahlreichen regionalen Projekten engagiert, zum Beispiel der "Postdiagnostischen Begleitung" von Menschen mit Demenz. "Jeder Mensch hat das Recht auf die Diagnose und das Recht auf ein Nicht-Wissen und nicht in jedem Fall ist es sinnvoll, die Diagnose auch zu übermitteln", sagt die Forscherin. Dass viele Menschen Anzeichen einer Demenzerkrankung erst relativ spät abklären lassen und häufig erst auf Druck der Familie, zeigt nach Ansicht der Medizinerin auch, wie wichtig es ist, auf den Beginn der Erkrankung zu schauen, denn häufig gibt es viele Jahre mit geringen Einschränkungen im Alltag, die für die Therapie genutzt werden wollen.

Nicht nur in der Therapie einiger Demenzformen gibt es Fortschritte - wenn auch nicht so große, wie man es sich erhoffen würde, wie die jüngst auch in der EU zugelassene neue Antikörper-Therapie. Auch die Diagnostik spielt in der Forschung eine zentrale Rolle: mit Hilfe von klinischen, biologischen und bildgebenden Biomarkern hoffen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Michaela Defrancesco die Erkrankungen möglichst früh erkennen zu können.

In Punkt eins sind Prof. Dr. Michaela Defrancesco, Gerhard Bauernfeind und Johanna Püringer Gäste bei Barbara Zeithammer und sprechen über die Diagnostik von demenziellen Erkrankungen und wie Menschen mit der Diagnose umgehen.

Reden Sie mit, stellen Sie Ihre Fragen und teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns! Sie erreichen uns live während der Sendung kostenfrei aus ganz Österreich unter der Telefonnummer 0800 22 69 79 und jederzeit per E-Mail an punkteins(at)orf.at

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