Wassily Kandinsky: Ambivalente Nähe

13. Dezember 2024, 06:57

Was für ein Farbenfest! Was für ein bewegter Tanz aus Kornblumenblau, Kirschrot, Dottergelb, Türkisgrün, Weiß und Violett. Mitreißend ist auch der dynamische Pinselstrich; Er lässt mich beinahe übersehen, dass innerhalb der Farbflächen auch Gegenständliches zu entdecken ist, etwa ein Kirchturm, Dächer oder Zaunfragmente.

"Murnau mit Kirche I" aus dem Jahr 1910 gehört zu den berühmtesten Ansichten, die Wassily Kandinsky von dem bayerischen Voralpenort gefertigt hat. Es entstand zu einer Zeit, als er dort mit seiner Geliebten, der herausragenden Malerkollegin Gabriele Münter, gelebt hat. Das hochformatige, auf Karton gemalte Ölbild gehört zu meinen Lieblingswerken des Avantgardestars. Weil es ein Bild des Umbruchs am Weg in die Abstraktion ist.

"Murnau mit Kirche I" löst allerdings auch ambivalente Gefühle in mir aus. Denn es ist eng mit der künstlerisch einander inspirierenden, zugleich aber problematischen Beziehung zwischen Kandinsky und Gabriele Münter verknüpft. Sie hat vor allem für die Künstlerin verletzend und demütigend geendet.

Ein Umstand, der wahrscheinlich dazu geführt hat, dass dieses Bild erhalten geblieben ist. Denn die Malerin hat rund 100 Kandinsky-Werke nach der für sie unfreiwilligen Trennung, die sie in eine tiefe Depression gestürzt hat, in ihrem Murnauer Haus unter Beschlag gehalten. Später hat sie die als entartet verfemten Bilder vor den Nationalsozialisten im Keller versteckt. Im Jahr 1957, also lange nach Kandinskys Tod, hat sie den ungeheuren Schatz dann gemeinsam mit eigenen Arbeiten dem Münchner Lenbachhaus geschenkt - und somit aus einer traumatischen Situation heraus zumindest für die Nachwelt etwas Positives bewirkt.

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